Sozialtopf durch größere Klassen finanzieren?

Die Bildungschancen eines Kindes hängen nicht nur vom eigenen (sozialen) Hintergrund ab – sondern auch von der Zahl der benachteiligten Mitschüler.
Die Bildungschancen eines Kindes hängen nicht nur vom eigenen (sozialen) Hintergrund ab – sondern auch von der Zahl der benachteiligten Mitschüler.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Das Bildungsressort will Brennpunktschulen mehr Geld geben. Soziologe Johann Bacher würde dafür an der Betreuungsrelation schrauben. Und an der Finanzierung der Kleinschulen.

Wien. Es war eines der ersten Ziele, die Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) formulierte, als sie ihren Job antrat: ein Chancenindex, gemeinhin Sozialindex genannt. Das ist eine Form der Schulfinanzierung, bei der Brennpunktschulen mit vielen Kindern aus sozial schwachen oder Migrantenfamilien mehr Geld bekommen.

Einen ersten kleinen Schritt in diese Richtung hat das Bildungsministerium noch unter Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) gemacht: Aktuell wird Geld aus dem Integrationstopf nach sozialen Kriterien vergeben. In der Bildungsreform soll das in größerem Stil verankert werden, um es mit dem aufgabenorientierten Finanzausgleich ab 2019 umzusetzen. Ein Problem ist – neben der fehlenden Begeisterung des Koalitionspartners – das Geld. „Wir wollen nicht den guten Schulen etwas wegnehmen“, heißt es aus dem Bildungsressort. „Es wird wohl insgesamt mehr Mittel brauchen.“

Dass zusätzliches Geld notwendig sein wird, um Problemschulen zu unterstützen, meint grundsätzlich auch der Soziologe Johann Bacher von der Universität Linz, der sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Sozialindex auseinandergesetzt hat. Er sieht aber bereits jetzt im Schulsystem beträchtliche Mittel, die man für den sozialen Ausgleich verwenden könnte: Um Geld dafür aufzustellen, könnte man an den Betreuungsrelationen schrauben. „Wir haben sehr kleine Klassen“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. „Wenn man das Verhältnis Lehrer zu Schüler nur ganz geringfügig erhöht, hätte man bereits viel Extrageld zur Verfügung.“

164 Millionen für zwei Schüler

Bacher hat auch schon Modellrechnungen veröffentlicht, die auf Zahlen aus dem Jahr 2012 basieren. Wenn in Volksschulen anstatt 12,1 Schüler 14 Schüler auf einen Lehrer kämen, könnten 164 Millionen Euro für sozialen Ausgleich bereitgestellt werden, was laut dem Soziologen „ein guter Startbetrag für einen Modellversuch in Volksschulen“ wäre. Dass die Schülerzahl pro Klasse ein politisch extrem heikles Thema ist, ist ihm bewusst. Er ist aber der Meinung, dass ein Durchschnittsverhältnis von einem Pädagogen zu 14 Schülern zumutbar wäre.

„Man darf die Klassengröße nicht als heiligen Sanktus betrachten“, sagt Bacher. Zumal man wisse, dass sie nicht viel Einfluss auf die Schülerleistungen habe. Zu diesem Schluss kam etwa Bildungsforscher John Hattie in seiner großen Metastudie. Auch die OECD kritisierte erst im Sommer, dass die Klassen bzw. die Schulen in Österreich vergleichsweise klein seien. Die hohen Kosten würden Vorteile aufwiegen.

Für besonders kleine Schulen im ländlichen Raum – etwa jene mit weniger als 25 Schülern – hat Soziologe Bacher einen eigenen Vorschlag. Wenn sie bestehen bleiben sollten, könnte man solche Schulen stärker aus einem Strukturfonds finanzieren. Denn die Erhaltung der kleinen Dorfvolksschule sei letztlich eine strukturpolitische Aufgabe – und keine bildungspolitische. „Mit solchen kleinen Maßnahmen kann man einiges erreichen“, sagt er.

Chancen hängen von Klasse ab

Ein Grund, warum laut Bacher eine neue Finanzierung nötig ist, die die soziale Zusammensetzung berücksichtigt, ist der sogenannte Kompositionseffekt: Die Bildungschancen eines Kindes hängen demnach in Österreich nicht nur von der eigenen sozialen Herkunft und dem Migrationshintergrund ab. Sondern auch vom Umfeld in der Schule: Wenn mehr benachteiligte Kinder in einer Klasse sitzen, dann haben alle Schüler schlechtere Chancen.

Er schlägt vor, dass Schulen bis zu doppelt so viel Geld bekommen, wenn sie stark benachteiligt sind. Gemessen würde das an Bildung und Beruf der Eltern, Migrationshintergrund und Umgangssprache zu Hause. Wichtig wäre, dass Schulen aber nicht Geld mit der Gießkanne bekommen, sondern einen Plan vorlegen, wie sie diese Mittel zum Ausgleich der Nachteile einsetzen wollen, der dann – über die Bildungsstandards – evaluiert wird.

„Wunder darf man sich davon nicht erwarten“, sagt Bacher. „Die Wirkungskette ist indirekt und lang. Aber es wäre ein großer Schritt, um Nachteile auszugleichen.“

Auf einen Blick

Eine Schulfinanzierung nach Sozialindex soll mehr Geld für Brennpunktschulen bringen. Das Bildungsressort vergibt Mittel aus dem Integrationstopf anhand von Bildung und Erstsprache. Das Modell des Soziologen Johann Bacher sieht vier Kriterien vor: Bildung und Beruf der Eltern, Migrationshintergrund und Umgangssprache zu Hause.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2017)

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