Charles Darwin fliegt aus türkischen Lehrplänen

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Säkularismus, Wiedergeburt und Atheismus sollen in Religionsbüchern als "Krankheiten" eingestuft werden. Mustafa Kemal Atatürk immer mehr aus den Unterrichtsinhalten verschwinden.

Säkularismus, Wiedergeburt und Atheismus sollen in Religionsbüchern als "problematische Überzeugungen" und als "Krankheiten" eingestuft werden. Die Evolutionstheorie von Charles Darwin muss aus den gymnasialen Lehrplänen gestrichen werden. Der Gründer der laizistischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, soll immer mehr aus den Unterrichtsinhalten verschwinden. Diese Neuerungen in den türkischen Lehrplänen kündigte nun Bildungsminister Ismet Yilmaz an. Zwar handelt es sich noch um Vorschläge, doch geht es nach dem Willen des Bildungsministeriums, soll das Maßnahmenpaket bereits ab Februar in Kraft treten.

Damit würde dann umgesetzt werden, was Säkularisten in der Türkei schon seit langer Zeit fürchten: Die islamisch-konservative AKP-Regierung stärkt Schritt für Schritt die religiösen Inhalte in Bildungsanstalten, indem sie etwa die Theorie des Kreationismus unterstützt. Der Kreationismus lehnt die Evolutionstheorie ab und geht davon aus, dass alle Arten von Gott geschaffen wurden. "Die Beseitigung der Evolutionstheorie aus den türkischen Schulen scheint die jüngste Runde im Jahrhunderte alten Kulturkrieg zu sein", kommentierte der regierungskritische Journalist Mustafa Akyol den jüngsten Vorstoß im Internetmagazin "Al-Monitor".

"Lebewesen und Umwelt" ersetzen Evolutionstheorie 

Statt der Evolutionstheorie soll demnächst das Ersatzkapitel mit dem Titel "Lebewesen und die Umwelt" in den Schulbüchern zu finden sein. Zudem sollen alle Hinweise auf Darwin'sche oder "neo-darwinistische" Theorien entfernt werden. "Mit anderen Worten, ein türkischer High-School-Absolvent wird nichts über eine der wichtigsten wissenschaftlichen Theorien lernen", konstatiert der Journalist Akyol. Mit solch einem Vorgehen würden die religiös Konservativen glauben, sie würden das Bildungssystem "reinigen".

Die Türkei ist das einzige muslimische Land der Welt, das ein laizistisches Selbstverständnis hat. Laut Verfassung dürfen "heilige religiöse Gefühle" nicht "mit den Angelegenheiten und der Politik des Staates" vermischt werden. Ein Grundsatz, an den sich eigentlich auch der offen religiöse Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zu halten hat. Tatsächlich aber hält sich Erdogan oft nicht an diese Vorgabe. So hat er bei Wahlkämpfen gelegentlich einen Koran in der Hand gehalten, was als Tabubruch gilt in der Türkei.

Kopftuchverbot in staatlichen Einrichtungen gelockert

Tatsächlich erlebt die Türkei seit seinem Amtsantritt 2003 als Regierungschef eine Re-Islamisierung. So wurde etwa das Kopftuchverbot in staatlichen Einrichtungen weitgehend gelockert. Die Möglichkeiten des Alkoholkonsums an öffentlichen Orten wurden eingeschränkt. Auch Gewinnspiele dürfen keinen Alkohol mehr als Preis ausloben. Erdogan forderte 2014, türkische Schüler sollen Osmanisch lernen, die Vorgängersprache des modernen Türkisch - ohne lateinische Buchstaben. Politiker der kemalistischen Oppositionspartei CHP und der prokurdischen HDP warnen regelmäßig vor einer "religiösen Diktatur" durch die AKP.

Um die Evolutionstheorie gab es immer wieder Ärger in der Türkei. 2009 etwa wurde auf Anordnung des staatlichen Wissenschaftsrates in der Fachzeitschrift "Bilim ve Teknik" - zu deutsch: "Wissenschaft und Technik" - die Veröffentlichung eines Artikels über Darwin gestoppt. Die Herausgeberin wurde entlassen, nachdem sie das Titelblatt der März-Ausgabe der vor 150 Jahren veröffentlichten Evolutionstheorie Darwins gewidmet hatte.

(Cigdem Akyol/APA)

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