Mannigfaltige Kritik am Entwurf: Schulreform vor der Reform

Kritik an der Schulautonomiereform: Mehr als tausend Wiener Pflichtschullehrer versammelten sich gestern in der Wiener Stadthalle.
Kritik an der Schulautonomiereform: Mehr als tausend Wiener Pflichtschullehrer versammelten sich gestern in der Wiener Stadthalle.(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Lehrer und Eltern mobilisieren gegen das Paket zur Schulautonomie. An manchen Schrauben könnte noch gedreht werden. In zehn Tagen wird wieder mit den Lehrern verhandelt.

Wien. Mit Buhrufen wurden Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) und ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer in ihrer Abwesenheit am Donnerstag in der Wiener Stadthalle bedacht: Mehr als tausend Wiener Lehrer waren dem Aufruf der Gewerkschaft zu einer Informationsveranstaltung über die Schulautonomiereform gefolgt. Ihre Quintessenz: Das Paket bringe für Schulen in einem Ballungsraum wie Wien nichts Positives – dafür zahlreiche Probleme.

„Es ist ein weiteres Kapitel in einer aus Wiener Sicht unglücklichen Serie an Reformen“, sagte der Lehrergewerkschafter Stephan Maresch im bis auf den letzten Platz gefüllten Saal E. Die Pflichtschullehrer sind nicht die Einzigen, die wenige Tage vor dem Ende der Begutachtungsfrist am Sonntag gegen das Paket mobilisieren. Auch die Eltern und die Lehrer an den höheren Schulen kritisieren die Reform einmal mehr scharf: „Es ist ein abgehobenes Schreibtischpaket.“ Insgesamt sind bis Donnerstagnachmittag mehr als 800 Kommentare und Verbesserungsvorschläge eingegangen.

1Das soll das Schulautonomiepaket eigentlich bringen: mehr Handlungsspielraum.

Das Schulautonomiepaket, das in der Bildungsreform paktiert wurde, soll eigentlich mehr Freiheit und Handlungsspielraum an den einzelnen Schulstandorten bringen. Zentrale Punkte: Bis zu acht Schulen sollen Cluster bilden können. Die Schulleiter sollen festlegen können, wie lang die Unterrichtseinheiten und wie groß die Klassen sind. Und sie sollen ihre Lehrer aussuchen können. Damit verknüpft ist eine Verwaltungsreform, die die bisherigen Landesschulräte durch Bildungsdirektionen ersetzt.

2Die Kritikpunkte: von Mehrstufenklassen bis zu fundamentalen Mängeln.

Viele Kritiker beklagen grundsätzlich, dass es sich bei der geplanten Reform um ein reines Strukturpaket handle – das weder mehr Autonomie noch echte Verbesserungen für die Schüler und Lehrer bringe. Die konkreten Kritikpunkte reichen von ungesicherter Finanzierung für Mehrstufenklassen über die Frage, was nach einer Abschaffung der Schulversuche mit dem Ethikunterricht passiert, bis zu Weisungsketten in den Bund-Länder-Bildungsdirektionen. Und nicht zuletzt der Tatsache, dass die Schulautonomiereform kostenneutral sein soll.

3Cluster, Klassen, Sonderschüler: Daran stoßen sich die Kritiker besonders.

Bei einzelnen Punkten ist die Skepsis besonders groß. Die Möglichkeit, bis zu acht Schulen unter einem Leiter zu Clustern zusammenzufassen, stößt vielfach auf Kritik. Auch, weil das unter bestimmten Umständen gegen den Willen der Schulen geschehen kann. Die Abschaffung der Klassenschülerhöchstzahl kann Lehrern zufolge in einer wachsenden Stadt wie Wien bei gleichzeitigem Raum- und Lehrermangel zu größeren Klassen führen. Dass die Sonderpädagogikzentren in die neuen Bildungsdirektionen eingegliedert werden sollen, wird ebenfalls kritisiert.

4Das sagt die Ministerin: Die Eckpunkte stehen, an anderen könnte gedreht werden.

An den Eckpunkten wird nicht gerüttelt: Zu der Ansage steht Hammerschmid. Konkret seien diese Eckpunkte unter anderem etwa die flexible Klassengröße, die Cluster und die Auflösung der 50-Minuten-Unterrichtseinheit. Guten Ideen stehe man natürlich offen gegenüber. Dafür sei eine Begutachtungsfrist da. Staatssekretär Mahrer will nach deren Ende prüfen, wo es Änderungsbedarf gibt. ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner appellierte unlängst an Parteikollegen, „angesichts der verworrenen Diskussion die Vorteile der Autonomie für das Kind noch klarer und besser herauszuarbeiten“.

5Ganztagsschule, Sonderschule, Cluster: Hier könnte sich noch etwas ändern.

In einem Punkt hat sich schon etwas getan: Wie „Die Presse“ berichtete, sollen die Ganztagsschulen selbst entscheiden, ob es neben dem Freitag einen zweiten Nachmittag geben soll, an dem die Anwesenheit nicht verpflichtend ist. Aus dem Bildungsministerium heißt es, dass bei der Sonderpädagogik die Formulierung nachgeschärft wird, um klarzustellen, dass die kleinteilige Betreuung bleibt. Manche hoffen, dass bei einer unfreiwilligen Schulclusterbildung der eine oder andere Punkt präzisiert wird.

6Wenn das den Lehrern nicht genügt: kreative gewerkschaftliche Maßnahmen.

Am 8. Mai wird wieder mit der Lehrergewerkschaft verhandelt. Genügen die Anpassungen nicht, stellen die Lehrer gewerkschaftliche Maßnahmen in den Raum. Das Wort Streik will niemand in den Mund nehmen. Aber die Lehrer seien kreativ. Sie hoffen auch, dass sich bei der Suche der Regierung nach der notwendigen Zweidrittelmehrheit im Parlament noch etwas bewegt.

7Die Bedingung der Grünen für ihre Zustimmung im Parlament: die Gesamtschule.

Die FPÖ hat bereits ihr Nein zu der Reform angekündigt. Die Grünen verhandeln. Bildungssprecher Harald Walser will im Gegenzug für sein Ja Änderungen bei der neuen Direktorenbestellung, die seiner Meinung nach eine Repolitisierung darstellt. Und er will seinen Hebel nutzen, um die Weichen in Richtung Gesamtschule zu stellen – etwa mit einer Modellregion in Vorarlberg.

AUF EINEN BLICK

Schulautonomiepaket. Wenige Tage vor Ende der Begutachtungsfrist für das extrem umfangreiche Gesetzespaket steigt der Druck. Bis gestern Nachmittag langten mehr als 800 Stellungnahmen dazu ein. Die Kritikpunkte sind sowohl fundamentaler Natur – die Reform bringe keinen Nutzen für Lehrer und Schüler – als auch konkret. Kritiker stoßen sich besonders an den Clustern, zu denen Schulen unter gewissen Umständen auch unfreiwillig zusammengeschlossen werden können, der Abschaffung der Klassenschülerhöchstzahl 25 und der geplanten Zentralisierung der Sonderpädagogik. Während an den Eckpunkten der Reform nicht gerüttelt werden soll, wird es wohl in dem einen oder anderen Punkt noch Adaptionen geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2017)

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