"Mehr Spaß an der Mathematik"

Oft erschweren sprachliche Hürden die Lösung von Rechenaufgaben. Ein Projekt soll Abhilfe schaffen.

GRAZ. „Die Mathematik hat ein Imageproblem“ sagt Bernd Thaller, Leiter des Fachdidaktikzentrums (FDZ) für Mathematik und Geometrie der Universität Graz. Denn vom Schulmilch-Stöpsel mit seinem Einmaleins bis hin zum Algorithmus in der Maturaklasse scheitert es vor allem an einem, oder besser gesagt: an zwei Versäumnissen. An der „richtigen“ Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler – vice versa.

Das hat das erste Fachdidaktikzentrum der Karl-Franzens-Universität in Graz erkannt und beschlossen, eine Projektreihe zu eröffnen, die sich mit der Sprachkompetenz im Fachunterricht auseinandersetzt. Sabine Schmölzer-Eibinger, Leiterin des FDZ für Deutsch, Geschichte und Latein: „Vor allem mathematische Textaufgaben mit ihrem fachspezifischen Vokabular brauchen eine sprachlich nachvollziehbare Erklärung seitens der Lehrer, damit die Schüler Zahlen, Zeichen, Formeln oder Grafiken verstehen können.“Denn oft können Schüler subtrahieren oder die Wurzel ziehen, aber die verworrenen Textbeispiele und unnötig komplexe Formulierungen altbackener Schulbücher bringen sie bald an die Grenzen. „Insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund brauchen einen ,sprachsensibleren‘ Unterricht“ so Schmölzer-Eibinger, „da die Schwierigkeit einer Aufgabenstellung mit der Schwere des verfassten Textes zunimmt“.

Gemeint sind „Stolpersteine“ wie Präpositionen, Bindewörter, Adverbien oder Zahlwörter, welche zur Gruppe der Partikel gehören und für die schlechten Ergebnisse etwa beim Pisa-Test verantwortlich sind. Achten müsse man außerdem auf die richtige Wortwahl, sagt der stellvertretende Leiter des FDZ, Wernfried Hofmeister. Nach Einbindung der mathematischen Belege möchte das schulpädagogische Projekt ab Mitte 2010 österreichweit aktiv sein.

Das Sprachkompetenzorojekt will den Dialog zwischen Forschung und Schule fördern und mehr Bewusstsein für die Sprache schaffen. Schmölzer-Eibinger: „Für Lehrerfortbildungen entwickelten wir hierfür einfache Methoden, die von jedem übernommen und in jedem Fach angewendet werden können.“ Ferner erstellen die Wissenschaftler Lehrmaterialien für die vierte bis siebente Schulstufe, die bei den Kindern bislang sehr gut angekommen sind.

„Erstens plädieren wir stark für einen Paradigmenwechsel im herkömmlichen Schulsystem“, sagt Thaller. In einem offen gestalteten Unterricht werden Schüler vermehrt Situationen aus ihrer Umwelt mathematisieren. Der Professor gibt folgendes Textbeispiel: „Wie viele Kühe braucht man, um deine Schule für eine Woche mit Milch zu versorgen?“ Die Schüler müssen dann in Gruppen darüber diskutieren und verbal erklären, warum sie ihre Lösung für richtig halten. Erst dann wird gerechnet. „So lernen die Schüler die mathematische Fachsprache richtig anzuwenden, frei zu sprechen, und sie haben auch mehr Spaß an der Mathematik.“

Auf die Frage, ob dieser zeitintensive Unterricht nicht Auswirkungen auf den Lehrplan mit sich ziehen wird, geben die Forscher Entwarnung: „Langfristiges Grundwissen, das bis hin zur Oberstufe ausgebaut werden kann, ist wichtiger als auswendig zu lernen und wieder zu vergessen. Die Schüler müssen etwas vom Thema verstehen und ihr Wissen formulieren können.“ Der Traum von Chancengleichheit und Bildung für alle rücke so ein Stück näher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2010)

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