Quereinsteiger: Ich bin dann mal Lehrer

Quereinsteiger dann Lehrer
Quereinsteiger dann Lehrer(c) FABRY Clemens
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Künftig könnten auch an den AHS mehr Lehrer ohne abgeschlossenes Lehramtsstudium unterrichten. Doch gute Leute aus der Praxis sind schwer zu kriegen. Pädagogen warnen vor Defiziten.

Georg Haschek ist 59 Jahre alt, pensionierter Informatiker – und seit wenigen Wochen AHS-Lehrer. Früher hat er IT-Spezialisten geschult, jetzt steht er vor einer Klasse 15-Jähriger im Gymnasium Klostergasse in Wien-Währing und bringt ihnen bei, wie Software funktioniert. Was er einbringen kann, ist vor allem Erfahrung: die Verknüpfung von Theorie und Praxis, ein wenig wirtschaftlichen Hintergrund. Die Schüler honorieren das, meint Haschek: „Einmal haben sie nach einer Stunde sogar applaudiert – das hat mich selbst verwundert.“

Was an berufsbildenden Schulen längst Standard ist, hat an den AHS noch Seltenheitswert. An die 30 Quereinsteiger hat der Stadtschulrat für Wien dieses Jahr eingestellt, in anderen Bundesländern wie Salzburg oder Niederösterreich sind es je eine Handvoll. Geht es nach der Wirtschaftskammer (WKÖ), soll sich das ändern: „Wir wünschen uns mehr Quereinsteiger an den AHS“, so die Forderung von WKÖ-Bildungsexperte Michael Landertshammer. Es sei wichtig, dass Personen, die auch andere Arbeitswelten kennen, an der Schule seien.

Erste Engpässe in Vorarlberg

Aber: „Die wirklich tollen Leute aus der Praxis sind schwer zu bekommen“, sagt Landertshammer. „Für die ist das nicht interessant.“ Vorarlberg spürt das bereits: Dort werden händeringend Lehrer für naturwissenschaftliche Fächer gesucht – gern auch Quereinsteiger. „Aber es meldet sich keiner“, heißt es aus dem Landesschulrat. In Wien sind es „meist ältere Semester“, die mit einem abgeschlossenen Diplomstudium aus der Wirtschaft hinters Lehrerpult wechseln, sagt Reinhard Gruden, Personalchef im Stadtschulrat: „Das sind Leute, die altersbedingt oder aus anderen Gründen aus einer Firma ausscheiden.“ Für die anderen ist die Schwelle meist zu hoch.

Finanziell ist der Wechsel nicht interessant, denn Quereinsteigern im AHS-Bereich werden maximal drei Jahre Vordienstzeit angerechnet. Ein Einstiegsgehalt liegt damit bei rund 2200 Euro brutto – einem Bruchteil dessen, was ein erfahrener Informatiker, Physiker oder Chemiker in der Privatwirtschaft verdient. Dazu kommt, dass eine langfristige Planung kaum möglich ist: Die Verträge laufen maximal ein Jahr, oftmals auch kürzer. Wie bei Georg Haschek, der als Vertretung für einen erkrankten Kollegen einspringt. Und: Taucht ein geprüfter Lehrer auf, der ein Lehramtsstudium in zwei Fächern sowie sein Unterrichtspraktikum abgeschlossen hat, muss dieser laut Gesetz zum Zug kommen.

Derzeit sind die Quereinsteiger vor allem ein Instrument zur Überbrückung von personellen Engpässe. Die Notlösung könnte aber zur Regel werden: Für die kommenden Jahre kündigt sich österreichweit ein Engpass bei Physik, Chemie und Mathematik an. Auch in anderen Fächern werden Lehramtsabsolventen die Lücke nicht füllen können, die durch Pensionierungen entsteht. „Dann werden wir verstärkt auf solche Fachkräfte zurückgreifen müssen“, sagt AHS-Lehrergewerkschafterin Eva Scholik. Grundsätzlich für sie kein Problem – „wenn diese pädagogisch geschult sind“.

Kaum pädagogische Ausbildung

Standards gibt es dafür derzeit keine. Der zuständige Landesschulrat vereinbart mit jedem Quereinsteiger individuell, wie viele und welche Pädagogik- und Didaktikseminare nachgeholt werden müssen. Manche entscheiden sich dafür, die fehlenden Prüfungen für das Lehramt an der Uni nachzumachen. Wegen der kurzen Verträge sei eine umfassendere Ausbildung aber für die meisten nicht interessant, heißt es aus dem Wiener Stadtschulrat. Georg Haschek etwa ist ohne zusätzliche Seminare ins Schuljahr eingestiegen.

Was in einem Fach wie Informatik noch eher unproblematisch ist, kann in didaktisch aufwendigeren Fächern wie Physik schwierig werden. Nicht jeder, der das Fach beherrsche, sei automatisch ein guter Lehrer, warnt Eva Sattlberger, Bildungswissenschaftlerin an der Uni Wien. „Es besteht die Gefahr, dass Leute ohne pädagogische Ausbildung den Unterricht so gestalten, wie sie ihn selbst erlebt haben.“ Bei Quereinsteigern jenseits der fünfzig liegt dieser Jahrzehnte zurück. „Nur draußen stehen und dozieren funktioniert mit 14-Jährigen nicht.“

Sie wünscht sich ein gemeinsames Konzept von Unis und Landesschulräten: gezielte Veranstaltungen, die Quereinsteigern bei ihrem Berufseinstieg helfen – anstelle des derzeitigen „Flickwerks“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2010)

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