Schmied beharrt auf neuer Oberstufe

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Unterrichtsministerin Schmied will ihr Modell trotz ÖVP-Widerstands in Begutachtung schicken. Die Reform zur modularen Oberstufe entzweit die Koalitionsparteien. Die wichtigsten Fragen zum Ideologiestreit.

Wien. Die Reform zur neuen, modularen Oberstufe entzweit die Koalitionsparteien. Das Sitzenbleiben wird zum ideologischen Kampf, der Rückzieher der ÖVP zum Prüfstein der Reform. Die dringlichsten Fragen im Überblick:

1. Wie geht es nach dem Rückzieher der ÖVP weiter?

SPÖ-Unterrichtsministerin Claudia Schmied beharrt auf ihrem Konzept: Sie will den Entwurf zur Oberstufenreform kommende Woche unverändert in Begutachtung schicken. ÖVP-Chef Michael Spindelegger bat die Verhandler zwar zurück zum Start, betonte aber, dass er zuversichtlich sei. Auch Schmied schloss spätere Änderungen des Entwurfes nicht aus, sie sprach von einem „Feinschliff“, den man nach der Begutachtung gemeinsam mit der ÖVP vornehmen werde.

2. Wer unterstützt die Reform, wer ist dagegen?

Gegen die Einführung des Modulsystems an sich hat sich niemand ausgesprochen. Großer Streitpunkt ist das Sitzenbleiben. Die ÖVP zog ihre Zustimmung zum ursprünglichen Konzept, dass das Aufsteigen mit bis zu drei „Nicht genügend“ ermöglichen sollte, zurück. Vor allem die schwarz regierten Bundesländer sind dagegen. Rückenwind für Schmied kommt aus den SPÖ-geführten Ländern. Geht es nach den Grünen, sollten nur jene aufstiegsberechtigt sein, die nicht mehr als ein „Nicht genügend“ haben. Auch der FPÖ geht die Regelung zu weit, dem BZÖ ist der Vorstoß zu vage. Meinungsumfragen zufolge ist in der Bevölkerung jeder Zweite gegen ein Aufsteigen mit Fünfern. Auch Jugendliche selbst seien stark dafür, das Sitzenbleiben beizubehalten, „weil das ihren Vorstellungen von Leistungsprinzip und Konkurrenzdenken“ entspreche, sagt etwa Jugendforscher Philipp Ikrath.

3. Werden Schüler durch das Nachholen des Stoffes überfordert?

Trotz allgemeiner Skepsis daran, ob es ein Schüler schaffen könne, bis zu drei Module zu wiederholen und parallel den Schulstoff der nächsten Schulstufe zu absolvieren, geben Bildungsexperten Entwarnung. Die Wiener Bildungspsychologin Christiane Spiel sieht im Einsatz von Lerncoaches und der individuellen Unterstützung sogar einen Vorteil. Traditionelle Klassenwiederholungen seien ohnehin oft nicht von Erfolg gekrönt. Eine Erhebung der Statistik Austria beweist, dass nur 60 Prozent der Repetenten an der AHS-Oberstufe die wiederholte Klasse erfolgreich abschließen, an den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen erreichen 65 bzw. 72 Prozent beim zweiten Mal das Klassenziel.

4. Wie viele Schüler wären von der Reform betroffen?

Von den rund 426.000 Schülern ab der neunten Schulstufe (inklusive Berufsschüler) waren im Schuljahr 2008/09 rund 29.200 Schüler nicht aufstiegsberechtigt (siehe Grafik). Von den Neuerungen betroffen sind 26.300 Schüler, denn das Modulsystem soll nur in AHS und BMHS eingeführt werden, nicht an Berufsschulen. Das Ministerium setzt die Zahlen noch niedriger an: Da es den Schulen freigestellt sei, das Kurssystem erst ab der zehnten Schulstufe einzuführen, rechne man nur mit rund 10.000 Sitzenbleibern. Durch die Neuregelung könnten sich 60 Prozent von ihnen das Sitzenbleiben ersparen.

5. Wie hoch sind die Einsparungspotenziale bzw. die Kosten?

Das Ministerium rechnet mit Einsparungen von bis zu 40 Millionen Euro. Das sei sogar eine zurückhaltende Schätzung, meint der grüne Bildungssprecher Harald Walser. Denn pro Jahr würde ein Schüler zwischen 8000 (in der Grundschule) und 15.000 Euro (in einer HTL) kosten. Dabei seien die Einsparungen durch den schnelleren Eintritt in den Arbeitsmarkt und der Wegfall von Zahlungen – wie etwa der Kinderbeihilfe – noch nicht einmal miteinberechnet. Die Förderkurse sollen dadurch kostendeckend finanziert werden können.

6. Sind Klassenwiederholungen international üblich?

Das automatische Aufsteigen ist nur in wenigen Ländern Usus: Island, Norwegen und die USA kenne etwa kein Sitzenbleiben, Bulgarien und Liechtenstein zumindest im Volksschulbereich nicht. In den skandinavischen Ländern gibt es das Sitzenbleiben zwar, die Klasse wiederholen müssen Schüler aber kaum wegen schlechter Leistungen, sondern im Fall langer Krankheit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2011)

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