Hirnforscher fordert Umdenken bei Lehrern

Hirnforscher fordert Umdenken Lehrern
Hirnforscher fordert Umdenken Lehrern(c) Clemens Fabry
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Als Lehrer geeignet seien nicht die, die Kindern "nur was beibringen wollen", sagt Neurobiologe Gerald Hüther. Er entwickelt den Masterlehrgang "Potenzialentfaltungscoach".

"Wir haben uns geirrt", sagt der deutsche Neurobiologe Gerald Hüther. Nicht Gene entscheiden bei Kindern über Intelligenz, Dummheit oder Faulheit - sondern welche Möglichkeiten aus dem "riesigen Überschuss an Vernetzungsoptionen im Gehirn" durch Erwachsene bedient werden. "Jedes Kind ist im Grunde genommen hochbegabt", sagt der Hirnforscher von der Uni Göttingen, "jedes auf seine Weise talentiert. Und die einzigen, die blöd sind, sind wir (die Erwachsenen, Anm.)." Damit Lehrer von Wissensvermittlern zu "Schatzsuchern" werden, lanciert Hüther in Deutschland nun den Masterlehrgang "Potenzialentfaltungscoach", den er auch Pädagogischen Hochschulen (PH) in Österreich anbieten will.

Hüther will die modernen Erkenntnisse der Hirnforschung in die Bildungssysteme hineintragen, "damit sich dort jene Veränderungen umsetzen lassen, die eigentlich notwendig sind, damit unsere heranwachsende Generation die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistern kann". In der Pädagogen-Ausbildung seien diese Erkenntnisse noch nicht angekommen. "Der Lehrer sieht sich nach wie vor wie im vorigen Jahrhundert als Wissensvermittler - das ist das Bild, das an Pädagogischen Hochschulen propagiert wird", so Hüther. "Es braucht eine andere Einstellung der Lehrer zu sich selbst, zu ihrer Rolle, den Schülern und Eltern." Zu Lehrern würden sich jene eignen, "die gerne Kinder inspirieren und ermutigen und nicht die, die ihnen nur was beibringen wollen".

Schwerpunkt in Österreich bei Ausbildung

In Österreich wird bei der geplanten neuen Lehrerausbildung daher ein "Schwerpunkt auf Lernen und Hirnforschung" gelegt, wie Andreas Schnider, Leiter des Entwicklungsrats für die neue Lehrer-Ausbildung, betont. "Wir führen derzeit unterschiedlichste Gespräche mit Persönlichkeiten, die wir uns mit an Bord vorstellen könnten", so Schnider. Hüther ist einer dieser Wissenschafter, deren Expertise u.a. zur Entwicklung möglicher neuer Weiterbildungsangebote an PH herangezogen wird. Ob beim geplanten offiziellen Start des Masterlehrgangs "Potenzialentfaltungscoach" 2013 in Deutschland auch österreichische Hochschulen mitmachen, könne man noch nicht sagen. "In diesem Stadium sind wir noch nicht", so Schnider, "das kann sich alles in unterschiedlicher Art und Weise entwickeln."

Hüther fordert jedenfalls ein generelles Umdenken. Jedes Kind werde mit denselben Begabungen wie Neugier, Offenheit, Gestaltungslust, Empathie- und Begeisterungsfähigkeit und zusätzlichen individuellen Talenten geboren. Nur unter den richtigen Voraussetzungen können sich diese auch entfalten. "Im Hirn entstehen nur dann stabile Netzwerke und formen sich zeitlebens heraus, wenn die emotionalen Zentren mit aktiviert werden", so Hüther. "Das heißt: Es muss unter die Haut gehen, sonst passiert nichts im Hirn." Eben weil sich kleine Kinder an vielem begeistern, lernen sie viel. Und es müsse nicht Naturgesetz sein, dass "Kinder innerhalb der ersten paar Grundschuljahre all das verlieren, was sie da an Schatz mit auf die Welt gebracht haben".

Lehrer als Schatzsucher

Die Voraussetzungen, die ein Lehrer mitbringen muss, "bestehen darin, dass er eine Art Schatzsucher ist, der mit dem Schüler auf Augenhöhe in Kontakt tritt und versucht herauszufinden, was der braucht und kann, und wo das Herz bei dem höherschlägt", so Hüther. Aufnahmetests für angehende Lehrer hält er nicht für sinnvoll, denn "das, worauf es ankommt, ist nicht zu messen". Stattdessen forderte er für Lehrer ein "Probejahr" etwa als Hilfskraft an einer Schule noch vor der Ausbildung, ähnlich dem "sozialen Jahr" in Deutschland.

Dabei kristallisiere sich schnell heraus, ob eine Person dem gewachsen ist. Denn neben der Qualifikation, Kinder für Dinge zu begeistern, die ihnen bisher bedeutungslos erschienen sind, müssten Lehrer auch "einen zusammengewürfelten Haufen zu einem leistungsorientierten Team umformen können". "Niemand kann alleine über sich hinauswachsen, man braucht dazu immer die anderen", so Hüther. "Das Hirn ist viel stärker durch soziale Erfahrungen geprägt und geformt als wir das bisher für möglich gehalten haben." Im Idealfall hat man dann "eine ganze Klasse, die etwa herausfinden will, warum Shakespeare 'Macbeth' geschrieben hat". Wissen, das sich Kinder gegenseitig aneignen, "wird auch nicht mehr vergessen".

(APA)

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