ÖVP-Experten wollen Lehrer 40 Stunden in der Schule

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Symbolbild(c) Clemens Fabry
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Der Think-Tank "Unternehmen Österreich 2025" fordert Volksbefragung zur Bildungsreform, die mittlere Reife und Ethikunterricht für alle. All das widerspricht der ÖVP-Parteilinie. Experten sind um Beruhigung bemüht.

Wien/Apa/J.n. Für Aufregung sorgt die von ÖVP-Chef Michael Spindelegger eingesetzte Expertengruppe „Unternehmen Österreich 2025“. Ihre bereits vor der öffentlichen Präsentation bekannt gewordenen Reformvorschläge im Bildungsbereich dürften die ÖVP-Parteilinie – quasi kontinuierlich – durchkreuzen. Wenig erfreut dürfte darüber nicht nur Spindelegger selbst sein, sondern auch die ÖVP-dominierte Lehrergewerkschaft. Der wohl aufsehenerregendste Reformpunkt trifft sie:

Lehrerarbeitszeit. Die Expertengruppe heizt die Debatte um das Lehrerdienstrecht erneut an. Sie fordern, dass Lehrer 40 Stunden pro Woche in der Schule anwesend sind. Dabei soll es eine Kernunterrichtszeit von neun bis 15 Uhr geben. Mehr noch: Auch die Ferienzeit soll eingeschränkt werden. Nur noch sechs Wochen sollten den Lehrern zur Verfügung stehen. Außerdem sollten sie zur Absolvierung von Fortbildungskursen verpflichtet werden.
Ethik für alle. Die Front der ÖVP gegen einen Ethikunterricht für alle ist stark. Ethik soll nur für jene Schüler verpflichtend sein, die keinen Religionsunterricht besuchen, so die Parteilinie. Die Expertengruppe sieht das völlig anders. In ihrem Papier fordern sie einen verpflichtenden Ethikunterricht für jeden einzelnen Schüler.
Mittlere Reife. Die mittlere Reife galt einst als großes bildungspolitisches Vorhaben der ÖVP. Der ursprüngliche Plan: Kein einziger Schüler sollte die Schule verlassen, ohne das Level der mittleren Reife erreicht zu haben. Auch wenn das bedeute, dass die Schulpflicht nicht automatisch nach neun Jahren endet. Von diesem Plan rückte die Volkspartei bereits vor einiger Zeit ab. Wenig später geriet das Konzept in Vergessenheit. Nicht bei der Expertengruppe. Sie fordern, dass die Schulpflicht erst mit dem Abschluss der mittleren Reife endet. Außerdem soll die an die Volksschule anschließende Sekundarstufe eins auf fünf Jahre verlängert werden.
Bildungs-Volksbefragung. Für Spindelegger ist klar: Eine Volksbefragung zu Bildungsthemen wird es nicht geben. Ungeachtet dessen regten einzelne Parteimitglieder – allen voran der Wiener ÖVP-Landeschef Manfred Juraczka – eine Volksbefragung zur Wiedereinführung von Studiengebühren an. Die Expertengruppe geht auch hier noch einen Schritt weiter. Sollten die Weichen für eine Reform des Lehrerdienstrechts, der Lehrerausbildung und der Schulverwaltung bis zum Frühjahr 2014 nicht gestellt sein, sei eine Volksbefragung zu diesen Themen vorstellbar.
Ganztägige Schule. In diesem Punkt weicht der Vorschlag der Expertengruppe nicht von der Parteilinie – die sich in den vergangenen Wochen etwas aufgeweicht hat – ab. Die ganztägige Schule soll zwar nicht verpflichtend, aber flächendeckend vorhanden sein.
Neue Direktionen. Schuldirektoren sollen mehr Verantwortung übernehmen. So sollen sie sich etwa ihre Lehrer selbst aussuchen können. Eingeschränkt soll hingegen ihre Funktionsperiode werden. Sie sollen nur noch auf Zeit bestellt werden können.
Faszination Gesellschaft. Die geltende Fächerstruktur soll völlig aufgelöst werden. Um vernetztes Denken zu fördern, fordert die Expertengruppe einen Ausbau des fächerübergreifenden Unterrichts. So sollen die Fächer Geschichte, Geografie, Religion und Politik zu einem gemeinsamen Fach mit dem Namen „Faszination Gesellschaft“ zusammengefasst werden.
Urlaub für Schüler: Freuen dürften sich die Schüler über die Vorschläge der Expertengruppe. Denn sie sollen bis zu 14 Tage individuellen Urlaub beantragen können. Die Sommerferien sollten hingegen auf sieben Wochen verkürzt werden. Dafür soll es Herbstferien geben.

Die Gruppe – in der 200 Experten aus unterschiedlichsten Bereichen sitzen – ist angesichts der zu früh bekannt gewordenen Details um Beruhigung bemüht. Diese würden nicht der Endversion entsprechen, sagt Sprecher Christoph Hörhan, der seine Initiative zudem als „parteiunabhängig“ verstehen will. Derzeit sei man noch in einem Diskussionsprozess. Das endgültige Konzept werde erst am 8.Oktober präsentiert. Der „Presse“ bestätigten Mitglieder der Expertengruppe dennoch, dass die öffentlich gewordenen Details den Vorhaben der Gruppe entsprächen.

Übrigens: Zu einem anderen kontrovers diskutierten Thema hat sich die Expertengruppe bereits im Juli geäußert. Die Rede ist von der Gesamtschule. Auch hier stellte sich die Expertengruppe gegen die ÖVP-Linie und sympathisiert mit der gemeinsamen Schule.

Die SPÖ selbst machte in Sachen Gesamtschule am Dienstag indes einen Rückzieher. Kanzler Werner Faymann sprach sich dagegen aus, die Umsetzung der Gesamtschule bis zum Jahr 2018 zur Koalitionsbedingung zu machen. Genau das hatte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter nur wenige Tage zuvor gefordert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2012)

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