Kurssystem: Rektorenchef befürchtet Interessensverengung

Modulsystem Rektorenchef gegen Verengung
Modulsystem Rektorenchef gegen Verengung(c) FABRY Clemens
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Der Plan der Regierung, an Oberstufen ein Kurssystem einzuführen, stößt auf Reaktionen von "sehr gut" bis "Schrotschießen im Dunkeln". Wie das neue System genau aussehen soll, ist aber noch unklar.

Auf unterschiedliche Resonanz stößt der Plan der Regierung, auch in Österreich an AHS-Oberstufen und berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) ein Kurssystem einzuführen. Günter Haider vom Bundesinstitut für Bildungsforschung (Bifie) begrüßte den Plan. Schüler könnten sich auf ihre Interessen und Begabungen konzentrieren; den Lehrern biete der Unterricht dann mehr Möglichkeiten und mehr Spaß. Der Bildungswissenschafter Stefan Hopmann von der Uni Wien warnte vor überzogenen Erwartungen. Auf die Leistung, die Abschlusswahrscheinlichkeit oder den Bildungsverlauf der Schüler habe das System "keinen eindeutigen Effekt".

Wie das das Kurssystem, dessen Einführung ab 2012 die Regierung diese Woche beschlossen hat, konkret aussehen soll, ist ohnedies noch nicht klar. Details müssten noch geklärt werden, hieß es aus dem Büro von VP-Bildungssprecher Werner Amon. So weit, wie die derzeitigen Schulversuche zur Modularen Oberstufe soll es offenbar nicht gehen.

Sünkel: "Gegen Verengung von Interessen"

Der Präsident der Universitätenkonferenz, Hans Sünkel, warnt vor einer Modularisierung. "Ich bin prinzipiell gegen jede Verengung von Interessen", spricht sich dagegen Rektoren-Chef Sünkel dezidiert gegen eine Modularisierung aus. In unserer komplizierten Welt müsse interdisziplinär gearbeitet werden, um Probleme lösen zu können.

"Dafür braucht man aber eine gemeinsame intellektuelle Basis, und die bedingt eine gemeinsame Bildung, die sich auf die wesentlichen breiten Inhalte konzentriert", so Sünkel. Ganz wenige Fächer sollten an der Uni als Aufnahmekriterien gelten, etwa wie in China, wo ein Numerus Clausus in den Fächern Mathematik, Englisch und Chinesisch gelte.

Bifie-Chef begrüßt Modulsystem

Bifie-Chef Haider dagegen begrüßt das System. Es sei "gut für Schüler und für Lehrer". Schüler könnten sich auf ihre Interessen und Begabungen konzentrieren, und auch den Lehrern würde das Unterrichten in Gruppen, die freiwillig einen Kurs besuchen, mehr Möglichkeiten geben und mehr Spaß machen, meint Haider. Indem nur negativ absolvierte Module wiederholt werden müssen, werde auch verhindert, dass Jugendliche wegen Schwächen in einzelnen Fächern ein ganzes Schuljahr verlieren.

Ein Kurssystem biete bei einer Variante mit Grund-, Fortgeschrittenen- und Leistungskursen auch die Möglichkeit, stärker zu differenzieren. Denn, so fragt Haider, "muss jemand in Mathematik das selbe Level erreichen, egal ob er danach im Kindergarten arbeiten will oder eine HTL besucht?"

Schulversuche "sehr gut"

Die derzeit vor allem an AHS laufenden Schulversuche zur modularen Oberstufe bewertet Haider "an sich sehr gut". Wissenschaftliche Studien dazu gibt es in Österreich allerdings nicht. Von einer Ausweitung auf alle AHS-Oberstufen und BMHS erwartet Haider keine Probleme. Das System müsse zwar an regionale Gegebenheiten angepasst werden, er rechne aber nicht damit, dass ein Kurssystem personalintensiver wäre.

Ein Zeugnis, in dem zusätzlich zu den Noten auch das jeweilige Leistungsniveau angegeben wird, könne außerdem besser zeigen, wo die Stärken der Schüler liegen. Dadurch entstünde auch die Möglichkeit dass die "Abnehmer" (Unis, Fachhochschulen, Arbeitgeber) sagen, welche Anforderungen für die Aufnahme gelten.

Hopmann: "Schrotschießen im Dunkeln"

Bildungsforscher Hopmann vergleicht die Umstellung auf ein Kurssystem wiederum als "Schrotschießen im Dunkeln". Er warnt vor überzogenen Erwartungen. Wie alle Eingriffe in die Organisationsform von Schule habe sie "keinen eindeutigen Effekt auf die Leistungsentwicklung, die Abschlusswahrscheinlichkeit oder den Bildungsverlauf der Schüler".

Hopmann betont, dass er weder für noch gegen die Umstellung auf ein Kurssystem sei. Immerhin hätten auch Jahrgangsklassen den Nachteil, dass sie davon ausgehen, dass sich alle Schüler gleichmäßig entwickeln. Und Schüler würden sich im Kurssystem laut Studien selbstständiger, verantwortungsbewusster und entscheidungsfreier fühlen.

Aber auch der Unterricht in Modulen könne negative Effekte haben. "Wenn alle Fächer sich als Hauptfächer gerieren, ist das der Overkill", so Hopmann. Die Spezialisierung könne zu einer falschen Akademisierung führen, wodurch Selektionsprozesse früher und stärker greifen. So habe nach der Umstellung auf Kurssystem in Norwegen 1992 der Dropout unter Schülern zugenommen.

Gute Schüler profitieren

Während gute Schüler mit klaren Interessen von dem System profitieren würden und mehr Platz zum Austoben haben, stelle es jene vor Probleme, die noch nicht genau wissen wo ihre Interessen und Stärken liegen. Dabei stelle sich laut Hopmann auch die grundsätzliche Frage, ob Schule die Aufgabe habe, so viel Wissen wie möglich zu vermitteln oder aber das nötige Wissen, um wie Welt zu verstehen.

Auch das Abschaffen des Sitzenbleibens sei kein Argument für das Kurssystem. Dieses sei nämlich nicht an ein Kurssystem gebunden, betont Hopmann. Klassenwiederholungen hätten laut empirischen Befunden eindeutig keinen Sinn.

(APA)

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