Wirtschaft: Akademische Abschlüsse auch für Lehrlinge

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Ohne umfassende Reform des Bildungssystems droht ein dramatischer Lehrlingsmangel, meint die Wirtschaftskammer. Dem will die Kammer mit einer deutlichen Aufwertung der dualen Berufsausbildung gegensteuern.

Wien/Ju. Ein demografisches Horrorszenario malt Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl für die heimischen Betriebe an die Wand: Den höheren Schulen (AHS und BHS) gelingt es, ihre Schülerzahlen absolut zu halten, während die Zahl der Jugendlichen insgesamt zurück geht. Die Zahl der Lehrlinge sinkt dadurch in den nächsten 14 Jahren von derzeit fast 40.000 auf 24.000 ab. Die Folge: eklatanter Facharbeitermangel und Abwanderung von Betrieben. Leitl: „Unsere duale Ausbildung wird international beachtet und ist ein Grund für die niedrige Jugendarbeitslosigkeit. Sie ist durch diese Entwicklung aber ernsthaft in Gefahr.“

Diesem „realistischen Drohszenario“ (Leitl) will die Kammer mit einer deutlichen Aufwertung der dualen Berufsausbildung gegensteuern. Diese ist jedenfalls Kern eines von der Wirtschaftskammer ausgearbeiteten und von der Industriellenvereinigung unterstützten Bildungskonzepts, das die Kammer Ende des Monats „den zuständigen Ministerien und Sozialpartnern vorlegen“ wird, wie Leitl Dienstagabend sagte.

Lehre nicht mehr Endstation

Das Rohkonzept sieht vor, die Lehre durch Ausbildungsmodule (die in Anspruch genommen werden können, aber nicht müssen) so aufzuwerten, dass am Ende der Lehre via „Höhere Berufsprüfung“ bzw. Berufsreifeprüfung ein Übertritt von begabten Lehrlingen in den tertiären Bildungsbereich (Uni, Fachhochschule, Berufsakademie) möglich wird. Am Ende der neu zu schaffenden Berufsakademie, die an die duale Berufsausbildung anschließen soll, wird der Bachelor Professional beziehungsweise Meister-Abschluss stehen, wobei der Meister (wie in einigen anderen EU-Ländern) zum tertiären Abschluss aufgewertet werden soll.

Kern des Konzepts ist ein verpflichtender Abschluss der Grundschule mit der „Mittleren Reife“, in deren Rahmen eine „Potenzialanalyse“ über den weiteren Ausbildungsweg mitentscheiden soll. Die Grundschule solle aus einem verpflichtenden Vorschuljahr, einer vierklassigen Volksschule und einer fünfjährigen Ausbildung im Rahmen der AHS/Neuen Mittelschule bestehen.

In diesem fünfjährigen Ausbildungsweg zur Mittleren Reife solle es ein System der individuellen leistungsbezogenen Förderung geben. Auf die Organisationsform (Gesamtschule oder nicht) wolle man sich derzeit aber nicht festlegen, sagte Leitl. Diese Diskussion sei derart ideologisch und emotional überfrachtet, dass Reformkonzepte schon an dieser an sich nebensächlichen Organisationsfrage scheitern könnten.

Die Richtungsentscheidung (AHS-Oberstufe Richtung Uni, BHS Richtung Fachhochschule oder duale Ausbildung Richtung Berufsakademie) würde damit generell erst nach der Mittleren Reife mit 15 Jahren fallen. Der Polytechnische Lehrgang hätte ausgedient. Für jene rund 10.000 Jugendlichen, die jedes Jahr ohne Schul- oder Lehrabschluss „aus dem System fallen“, stellt sich Leitl die Einrichtung einer „dualen Basisbildung“ vor. Mit Förderunterricht sollen dort jene Kenntnisse vermittelt werden, die es den dort Ausgebildeten ermöglichen würden, „die Tür zur regulären Berufsausbildung offen zu halten“.

Einen zusätzlichen finanziellen Aufwand sieht die Kammer durch die Einrichtung der Berufsakademien nicht. Diese Rolle könnten bereits bestehende Bildungsorganisationen wie etwa Wifi oder BFI übernehmen.

Eine Lösung sieht das Kammer-Bildungskonzept auch für das HTL-Dilemma vor: Die Ingenieursausbildung schließt mit der Matura – und wird in der EU nicht als tertiärer Abschluss anerkannt. Dem solle mit der Einrichtung eines einjährigen Lehrgangs abgeholfen werden, der an die HTL-Matura anschließt und mit einem akademischen Diplom endet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2011)

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