Die Angst vor der türkischen Parallelgesellschaft

Angst tuerkischen Parallelgesellschaft
Angst tuerkischen Parallelgesellschaft(c) Teresa Z�
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Die jüngsten Pläne, in Tirol ein türkisches Privatgymnasium zu errichten, haben für einen Aufschrei gesorgt. Wenig überraschend, denn türkische Migranten haben in Österreich kein gutes Standing.

Wien. Der Aufschrei war vorprogrammiert: Der Plan türkischstämmiger Unternehmer, in Tirol ein privates Gymnasium mit Türkisch-Schwerpunkt zu errichten, war ein gefundenes Fressen für Rechtspolitiker und Boulevard. Lang überlebte das Vorhaben nicht. Rasch wurde die Parallelgesellschaftskarte gezogen, das Projekt von der betroffenen Gemeinde Rum abgelehnt. Offizielle Erklärung: Man wolle einfach kein Privatgymnasium im Ort. Doch dass es bei der Entscheidung um mehr ging, zeigt schon das Statement des Bürgermeisters: Integration gelinge nur dann, wenn alle Schüler in einem Schulbereich untergebracht seien.

Schon im Frühjahr hatte ein ähnliches Thema für Kontroversen gesorgt: „Presse“-Berichte über den Plan des Unterrichtsministeriums, Türkisch – neben 14 anderen Sprachen – als neues Maturafach einzuführen, stießen damals auf heftigen Widerstand, woraufhin die Regierung rasch zurückruderte und sich in Schadensbegrenzung übte: Das Thema stehe nicht zur Debatte, Pläne habe es ohnehin niemals gegeben, bloß Überlegungen.

Woher die reflexartige Ablehnung kommt, ist unschwer nachzuvollziehen: Die türkischstämmige Bevölkerung genießt hierzulande wenig Prestige. Der Soziologe Kenan Güngör hat selbst türkische Wurzeln – und formuliert es noch drastischer: „Türken werden in Österreich zunehmend zu einer stigmatisierten Gruppe“, sagt er. Werden sie sichtbar – in Form von Moscheen, Vereinen, Schulen – führt das zu Alarmismus. Dass die türkische Bevölkerung in der österreichischen Gesellschaft ein schlechtes Standing hat, zeigt sich aber nicht nur im öffentlichen Diskurs. Auch aktuelle Forschungsergebnisse belegen: Von keiner anderen Bevölkerungsgruppe versuchen sich die Österreicher mehr abzugrenzen als von den Türken.

Unter diesem Gesichtspunkt kann die Wiener Integrationsforscherin Barbara Herzog-Punzenberger die Überlegung, eigene Schulen zu gründen, nachvollziehen: „Das ist eine natürliche Reaktion in einer Umwelt, in der man Ablehnung und Unverständnis erlebt.“ Güngör sieht das ähnlich. Migrantenkinder landen in Österreich nach der Volksschule überproportional oft in Hauptschulen oder gar Sonderschulen. Viele Eltern hätten das Gefühl, dass ihre Kinder im Gymnasium noch immer als Fremde angesehen werden. Dabei wollen sie, dass ihre Kinder selbstbewusst, selbstverständlich und nicht als Sonderfälle aufwachsen. Eine Argumentation, die etwa der Gründer des islamischen Realgymnasiums in Wien Fünfhaus ins Treffen führt. Die Motivation könne allerdings auch eine sehr gegensätzliche sein, sagt Güngör: Sprache, Kultur und Religion zu pflegen und zu verfestigen – oder gar Abschottung.

„Keine blauäugige Diskussion“

Allzu blauäugig dürfe man also nicht an die Debatte herangehen, sagt auch Güngör: „Es wäre kritisch, wenn diese Schulen eine sehr starke weltanschauliche Prägung haben.“ Denn dann bestehe die Gefahr, dass solche Modelle starke religiöse, nationalistische oder traditionalistische Färbungen bekommen. Auch eine andere Frage müsse man stellen, sagt Güngör: Wie stark sind solche Schulen ethnisch gemischt? In einer Gesellschaft, die zunehmend vielfältiger wird, brauche es nicht Orte, die trennen. Sondern „unheimlich viele“ Institutionen gemeinsamer Sozialisation, sagt Güngör: „Sonst ist das selbstverständliche Miteinandervertrautwerden nicht möglich.“ Wirklich problematisch sei das bei Gymnasien aber nicht. Denn diese richten sich eher an bildungsaffine Gruppen, die zumeist ohnehin daran interessiert seien, in der Mehrheitsgesellschaft mitzumischen.

Solche Schulen könnten auch „ein Ort gemeinsamer Sozialisation sein“, meint Herzog-Punzenberger, „wenn sie als solche konzipiert sind und sich auch so verstehen“. Wenn also etwa für die Aufnahme nicht Voraussetzung ist, dass die Kinder Türkisch sprechen oder muslimischen Glaubens sind. Das alleine reicht aber nicht aus: In den bestehenden Schulen gibt es eine Kluft zwischen Anspruch und Realität. Das Phönix-Realgymnasium in Wien Favoriten, eine Schule mit Türkisch-Schwerpunkt, besuchen fast ausschließlich Kinder mit türkischen Wurzeln. Eine Tatsache, die unter anderem wieder an Vorbehalten liegen mag.

Genau hier würde Güngör ansetzen: Anstatt mit privaten türkischen Schulen in die Breite zu gehen, wünscht er sich ein bis zwei „profilierte“ türkische Gymnasien etwa nach dem Vorbild des Lycée Français oder des tschechischen Komensky-Gymnasiums in Wien. Von Parallelgesellschaften spricht in dem Zusammenhang niemand. „Eine solche türkische Schule hätte hohen symbolischen Wert“, sagt Güngör. Zudem würde sie etwas bieten, mit dem Befürworter immer wieder argumentieren: Mehrsprachigkeit – umso nützlicher, zumal die Türkei als Wirtschaftspartner immer wichtiger wird. Die Stadt Wien würde einem derartigen Plan jedenfalls nicht im Weg stehen – das hat Bürgermeister Michael Häupl bereits angekündigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2011)

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