Hannes Androsch fordert mit seinem Bildungsvolksbegehren eine "Finnlandisierung" des österreichischen Schulsystems. Ein Blick zum PISA-Weltmeister zeigt: Dort werden Schüler und Lehrer gefördert und gefordert.
Kopenhagen/Helsinki. Eine neunjährige Gesamtschule, Respekt vor den Lehrern, frühes Leseverständnis und individuelle Förderung: Das finnische Erfolgsmodell für die Schulbildung hat viele Bausteine. Gemein ist ihnen das klare Konzept, das alle Schüler einschließen soll. „Wir Finnen sind nur fünf Millionen Menschen und können es uns nicht leisten, sie unterwegs zu verlieren“, sagt der sozialdemokratische Bildungsminister Jukka Gustafsson – und verficht damit die gleiche Ideologie wie seine bürgerlichen Vorgänger, seit das Land 1998 sein Gesamtschulkonzept reformierte.
Die Erfolge geben dem Modell recht. Seit zehn Jahren liegt Finnland in den PISA-Messungen ganz vorn. Ganz egal, ob es um Lesefähigkeit, Mathematik, Naturwissenschaften oder Problemlösung geht. Die Spitze ist spitze, die Breite ist breit: Dass es bei ihnen exzeptionell wenig schwache Schüler gibt, macht die Finnen besonders stolz. Nur fünf Prozent erwiesen sich als ungeeignet, Probleme zu lösen. Und es gibt zwar die üblichen Unterschiede, dass Mädchen besser lesen und Buben in Mathe bessere Noten bekommen. Aber auch hier gilt: Nirgendwo sonst sind die Geschlechterunterschiede so gering wie in Finnland.
Was macht das Vorbild Finnland aus? Die gute Lernatmosphäre im Klassenzimmer ist einer der Hauptgründe. Es gibt kleine Klassen, die Durchschnittsschülerzahl liegt bei 15 – und motivierte Lehrer. Die finnische Schule hat noch etwas von der Atmosphäre der Landschule der Nachkriegszeit, als mehrere Jahrgänge im selben Raum unterrichtet wurden und der Lehrer eine Respektsperson war.
Gute Zusammenarbeit mit Eltern
Es gibt klare Lehrpläne, dank deren der Lehrer weiß, was erwartet wird, und rasches Eingreifen in Zusammenarbeit mit dem Elternhaus, wenn es bei einem Schüler nicht klappt. Mit individueller Nachhilfe während der Schulzeit werden die Nachzügler rasch wieder herangeführt. Auf Leseverständnis wird in den ersten Jahren höchster Wert gelegt, dies erleichtert später auch den Mathe- und naturwissenschaftlichen Unterricht. Die Schüler verstehen ihre Aufgaben. Auch in Finnland spielen die familiären Verhältnisse eine Rolle für den Erfolg. Doch der Einfluss des „sozio-ökonomischen“ Hintergrunds ist dank der egalitären Gesellschaft und der Förderung in den Schulen geringer als irgendwo sonst.
Erst wenn die Schüler 16 sind, trennen sich die Wege für die theoretisch Begabten und die, die eine praktische Ausbildung machen. Doch auch bis dahin gibt es große Unterschiede im Lehrangebot der Schulen, sodass zumindest in den Städten alle eine für sie passende Ausbildungsstätte finden können. Will man Englisch ab der ersten Klasse haben oder Unterricht auf Somalisch? Ballett oder Eishockey? Auf dem Gymnasium wird die Individualisierung noch weiter getrieben. Jeder Schüler muss während der drei bis vier Jahre 175 Kurse absolvieren, die er neben den Pflichtfächern frei gestalten kann. Eine Matura mit vier schriftlichen Examen führt zur Hochschulreife.
Lehrer als Prestigeberuf
Lehrer zu sein ist in Finnland ein Prestigeberuf. Nur zehn bis zwanzig Prozent der Bewerber werden zum Studium zugelassen, hohe Noten, eine bestandene Prüfung und ein erfolgreich absolviertes Tauglichkeitsinterview sind Voraussetzung, auch, um Vor- oder Grundschullehrer werden zu können. Die Ausbildung ist akademisch, aber mit langen Praktikumsperioden verbunden. So ist der fertig ausgebildete Lehrer hoch motiviert und respektiert, bei Schülern und Eltern. Wie es die Pädagogikexpertin Inger Enkvist formuliert: „Wer legt sich schon mit einem Weltmeister an?“
Auf einen Blick
Androschs Vorbild ist Finnland. Deshalb fordert er im Zuge des Bildungsvolksbegehrens die „Finnlandisierung“ des heimischen Schulsystems. Die Stärken der PISA-Sieger: eine neunjährige Gesamtschule, ganztägige Betreuung und individuelle Förderung. Besonderer Wert wird auf eine gute Zusammenarbeit von Schule und Eltern gelegt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2011)