Die Sozialdemokraten werten die 384.000 Unterschriften als Unterstützung für ihre Bildungsreformen, vom Koalitionspartner ÖVP kommt Häme.
Wien. Es ist ein Reflex, den die heimische Politik bis zur Perfektion zu beherrschen scheint. Am Tag nach dem Bildungsvolksbegehren interpretierte jeder das Ergebnis zu seinen Gunsten: Während Initiator Hannes Androsch von einem respektablen Ergebnis sprach, und die Sozialdemokraten es als Rückenwind für ihre Bildungsreformen auslegten – Stichwort Gesamtschule –, kam am Freitag sowohl vom Koalitionspartner ÖVP als auch von der FPÖ Häme. Der Unmut der Bürger sei offenbar „geringer, als uns von vielen versucht wird, weiszumachen“, sagt ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon.
Tatsache ist: Der große Erfolg für das Volksbegehren ist – trotz prominenter Mitstreiter und großem PR-Einsatz – ausgeblieben. Lediglich 383.820 Österreicher (inklusive Stimmkarten) haben den Forderungskatalog von Ex-SPÖ-Vizekanzler Hannes Androsch unterschrieben. Mit einer Beteiligung von knapp über sechs Prozent der Stimmberechtigten blieb das Begehren weit hinter den Erwartungen zurück – Androsch hatte von mindestens zehn Prozent gesprochen. Die Hauptstadt konnte er zwar offenbar für seine Initiative begeistern – 8,77 Prozent der Wiener unterschrieben das Volksbegehren –, einen Erfolg konnte das allerdings nicht retten. Denn in den Bundesländern kam die Androsch-Initiative nicht besonders gut an (siehe Grafik): Am besten war noch das Ergebnis im Burgenland mit 6,4 Prozent, mit Abstand die wenigsten Unterstützer fand das Volksbegehren in Tirol – nur 3,7 Prozent.
Alles andere als euphorisch war dementsprechend auch die Stimmung im Team rund um Hannes Androsch. Verhalten war der Applaus, als sämtliche Zahlen aus den Bundesländern auf einer kleinen Tafel notiert waren und das Endergebnis feststand, rasch leerte sich das Büro der Initiative – von einer wirklichen Abschlussparty keine Spur. Trotz allem: Die richtige Arbeit fange erst an, sagt der ÖVP-Bildungsexperte und Mitinitiator Bernd Schilcher. Nun gehe es um die Umsetzung der Forderungen.
Bildung als Thema bei Nationalratswahl
Hannes Androsch sieht in dem Volksbegehren einen Auftrag an die Regierung. Er forderte erneut einen Bildungsgipfel unter Einbeziehung der Parlamentsparteien, Sozialpartner und Initiativen des Volksbegehrens. Androsch erwartet sich, dass die Bildung auch das bestimmende Thema der nächsten Nationalratswahl sein wird. Wer dies nicht beherzige, „wird ein böses Erwachen haben“, so Androsch in Richtung ÖVP, die sich von Beginn an gegen das Bildungsvolksbegehren ausgesprochen hatte.
Diese sah sich am Tag nach dem Begehren allerdings in ihrer Position bestätigt. Die Mehrheit der Österreicher wolle weder die Gesamt-, noch die verpflichtende Ganztagsschule. Bildungssprecher Amon sicherte dem Begehren zwar „selbstverständlich eine seriöse Behandlung im Parlament“ zu – die notwendigen 100.000 Unterschriften hat das Begehren locker erreicht –, eine „Sonderbehandlung“ hält er jedoch nicht für angebracht. Dass das Ergebnis des Volksbegehrens „weit unter den Erwartungen“ geblieben sei, zeige, dass sich die Regierung auf dem richtigen Weg befinde.
Auf diesem sah sich am Freitag auch die SPÖ – allerdings unabhängig vom Regierungspartner. Sie legte die „zahlreichen Unterstützer“ als Unterstützung für weitere Bildungsreformen aus. Er nehme das Ergebnis „sehr ernst“ sagte Bundeskanzler Werner Faymann. Seine Partei will dem Anliegen möglichst breiten Raum bieten – neben einem Sonderausschuss soll es eine Serie von Enqueten, Expertenhearings und Diskussionsforen geben. Das Ziel sei, so SPÖ-Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter, die Umsetzung der Kernanliegen des Begehrens – und zwar schon im Jahr 2012.
Auch Grünen-Bildungssprecher Harald Walser sieht in dem Ergebnis ein klares Signal für eine grundlegende Bildungsreform. Für den Präsidenten der Industriellenvereinigung, Veit Sorger, und ÖGB-Chef Erich Foglar – sonst selten einer Meinung – ist das Ergebnis als klarer Arbeitsauftrag zu verstehen. Uni-Rektoren und Studierendenvertreter mahnten, das Volksbegehren nicht in der Schublade verschwinden zu lassen. Als „Riesenbauchfleck“ und „veritablen Schuss ins Ofenloch“ bezeichnete indes die FPÖ die Initiative. Auch die eigens als Gegeninitiative gegründete „Bildungsplattform Leistung & Vielfalt“ zeigte sich schadenfroh.
Experten: „Forderungen zu komplex“
Erste Experten machten sich inzwischen daran, zu analysieren, warum der große Erfolg ausgeblieben ist. „Die Forderungen waren zu komplex“, sagt der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Androsch hätte Mut zur Vereinfachung haben und sich auf drei Kernanliegen konzentrieren müssen. Zudem sei das Timing schlecht gewesen: Der Höhepunkt der Wahrnehmung sei dann gewesen, als Androsch die Initiative ankündigte. Auch die Tatsache, dass ein Volksbegehren selten Resultate bringe, sei problematisch. „Man sollte sich die Frage stellen, ob man Direktdemokratie nicht mit Verpflichtungen stärken sollte“, so Filzmaier – wenn etwa der Nationalrat über die Anliegen abstimmen müsste, müssten sich die Parteien klar positionieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2011)