Schule: „Endet dein Name auf -itsch, bist du schon abgestempelt“

Bildungsfern? In der Debatte um Schulschwänzen kommen die Betroffenen kaum zu Wort. Ein Lokalaugenschein in einem Wiener Jugendcafé.

Wien. Es ist kurz nach 16 Uhr, das Jugendcafé in einem Wiener Innenbezirk hat gerade aufgesperrt. Nur wenig später kommen die ersten Jugendlichen unter Getöse herein. Fünf junge Burschen gehen selbstbewusst durch den Raum, kommen an die Bar, begrüßen alle Jugendarbeiter mit Handschlag, bestellen zu trinken. Wer neu ist, wird ebenfalls mit Handschlag begrüßt, die jungen Herren stellen sich vor.

Sie sind um die 16 Jahre alt, haben größtenteils serbische Wurzeln und verbringen ihre Freizeit gerne hier im Café, hier könnten sie „chillen“, sagen sie. Die offene und gemütliche Atmosphäre dürfte aber nicht das Einzige sein, was sie dazu bewegt, immer wieder hierherzukommen. Die Jugendarbeiter begegnen den Jugendlichen auf Augenhöhe, sie nehmen sie ernst. Und dieses Gefühl wird ihnen nicht überall vermittelt.

Am wenigsten in der Schule, erzählen Dennis, Aleksandar und Milo während sie es sich auf den Couchs gemütlich gemacht haben und eine Pizza essen. Die drei Jugendlichen heißen nicht wirklich so. Und auch das Jugendzentrum, in dem sie sich aufhalten, will nicht namentlich genannt werden. Nicht, weil man nicht stolz auf die Arbeit wäre, die dort geleistet wird, sondern weil man die Jugendlichen schützen will. Vor Medienvertretern, die ihnen das Wort im Mund umdrehen. Vor Eltern, die ihnen den Besuch im Jugendzentrum nicht erlauben. Vor Lehrern, denen sie im Gespräch kein gutes Zeugnis ausstellen. Und – in Zeiten von Facebook und Co. – nicht zuletzt vor sich selbst.

Und wer ist Sebastian Kurz?

Die Diskussion um höhere Strafen für Schulschwänzer haben sie nur am Rande mitbekommen. Wer Sebastian Kurz ist, weiß nur Dennis. Dunkel erinnert er sich, dass er „der jüngste Politiker in Österreich“ ist. Aber für Politiker haben sie ohnehin wenig über, diese würden nur alles Mögliche versprechen, aber nichts halten. Und: „Sie glauben, was Besseres zu sein, genauso wie die Polizei und die Lehrer.“ Wenn diese nicht wären, würden sie „eigentlich eh gerne in die Schule gehen“. Aber mit ihnen haben sie schon viele Erfahrungen gemacht – und nicht alle davon waren gut. So wissen die Jugendlichen hier ganz genau, dass sie „die Ausländer“ sind. Das werde ihnen gerade in der Schule immer wieder vermittelt, berichten sie. In der Mittelschule noch stärker als in der HTL oder der HAK, die sie inzwischen besuchen. „Auch wenn du eine österreichische Staatsbürgerschaft hast, wirst du nicht so behandelt. Hast du das -itsch im Namen, bist schon abgestempelt“, ärgert sich Aleksandar. Aber nicht nur Schüler, deren Name auf -itsch endet, hätten Probleme.

Auch türkische Mitschüler hätten mit Alltagsrassismus zu kämpfen, erzählen die Jugendlichen. So mancher Lehrer lasse sich nur zu oft zu abfälligen Bemerkungen hinreißen. Dass das nicht der Regelfall ist, ist klar: Es gibt auch andere Lehrer, erklären die Jugendlichen, solche kennen sie auch. Aber bei all den Geschichten, die sie über die Schule erzählen, lassen sie vor allem eines durchblicken: dass sie dort nicht ausreichend ernst genommen werden, dass man ihnen zu wenig zutraut.

Dabei wissen sie ganz genau, wo sie einmal hinwollen: Dennis besucht eine HAK, er mag Rechnungswesen und BWL – und will einmal Banker werden. Aleksandar will Elektrotechniker werden, deshalb geht er in die HTL. Was ihre Eltern wollen, dass sie nach der Schule machen? „Was wir wollen, Hauptsache, wir machen die Matura.“ Das Bild, das sich beim Besuch im offenen Jugendtreff präsentiert, ist nicht das einer Generation perspektivenloser Schulverweigerer. Es ist eines einer jungen Migrantengeneration, die weiß, dass sie doch nicht ganz dazugehört.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2012)

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