Die frühere ÖVP-Bildungsministerin Elisabeth Gehrer kritisiert die Methoden der PISA-Studie und aktuelle Lehrpläne. Außerdem will sie den Status der Pflichtschullehrer "total aufwerten".
Die Presse: Die neue PISA-Studie sorgt schon vor der offiziellen Veröffentlichung für Schlagzeilen. Das kommt für die frühere Bildungsministerin, die Vorgängerin von SPÖ-Ministerin Claudia Schmied, wohl nicht unerwartet.
Elisabeth Gehrer: Ich kann die derzeitige PISA-Studie nicht beurteilen. Ob sich die seinerzeitige Blockade so ausgewirkt hat, ob da wirklich so viele Bögen unbrauchbar sind? Ich glaube, man müsste sich in der Pflichtschule darauf besinnen, die Kulturtechniken wirklich picobello zu erlernen: Lesen, Rechnen und Schreiben. Eigentlich müsste man die Kulturtechniken zum Hauptschwerpunkt im Pflichtschulbereich machen – und nicht 195 Kinkerlitzchen...
Was sind die Kinkerlitzchen?
Dass man mit den Kindern alles macht, alle möglichen Details. Ich will nicht sagen, dass das schlecht ist. Aber es muss genügend Zeit bleiben, gründlich die Kulturtechniken zu erlernen. Dazu gehört, dass man den Status der Pflichtschullehrer total aufwertet, denn die legen den Grundstein. Und dazu kommt natürlich auch noch, dass man schon in der Gesellschaft, im Elternhaus das Lesen wieder mehr in den Vordergrund stellt.
Die PISA-Beispiele zum Lesen sind freilich international, die Texte kommen nicht aus unserer Literaturtradition.
Das ist das nächste Problem, dass man Texte nimmt, die auf der ganzen Welt praktisch gleich sind und zu denen die Kinder keinen Bezug haben. Das ist auch bei Rechenaufgaben so. Die Tests werden über alle Bildungssysteme und Länder drübergezogen. Das war auch zu meiner Zeit, trotzdem hat man gesagt, ich sei an den Ergebnissen schuld.
Und jetzt heißt es: Die Schuld liegt woanders, etwa bei den Boykottmaßnahmen.
Jaja. Was aber bleibt: Man muss den Status der Pflichtschullehrer aufwerten. Nachdem sie ja auch Akademiker sind, muss man jetzt schauen, dass man zu einem gemeinsamen Dienstrecht kommt. Und man braucht klare Konzeptionen, die meisten wissen nicht, was die Neue Mittelschule ist. Jetzt macht jedes Bundesland etwas anderes. Im Prinzip wäre es vernünftig, die Neue Mittelschule zu haben und ab der dritten Klasse etwas zusätzlich anzubieten, einen weiteren Gegenstand, damit die Kinder in die Oberstufe des Gymnasiums wechseln können. Dann haben wir die hundertprozentige Durchlässigkeit zur AHS. Jetzt fragen die Eltern: Welche Berechtigungen erhalten die Kinder nach der Neuen Mittelschule? Auf das gibt es keine Antwort, weil jedes Land glaubt, es kann machen, was es will.
Da kommt der Vorwurf: Im PISA-Musterland Südkorea wird geübt und geübt bis hin zu einem unerhörten Drill.
Ich will nicht drillen, Kinder sollen keine Angst haben. Aber ich will einen guten Grundstein legen. Es ist auch nicht schlecht, dass man einmal etwas auswendig lernt. Das ist kein Drill. Aber für all das wäre das Bifie (Bundesinstitut für Bildungsforschung, Anm.) da, dieses müsste einmal der Sache auf den Grund gehen. Die sind ja personell gut ausgestattet, die müssten darlegen, wie man in der Grundschule arbeiten müsste. Schule muss Freude machen.
Sie wurden in Ihrer Amtszeit wegen der PISA-Studie von der SPÖ arg kritisiert. Würden Sie der ÖVP den Rat geben, sich jetzt diesbezüglich bei SP-Ministerin Claudia Schmied zurückzuhalten?
Ich gebe überhaupt keinen Ratschlag. Ich denke mir halt, es wäre richtig, es würden sich verantwortliche Bildungsexperten einmal zusammensetzen, drei Tage lang, und etwas für die Zukunft ausarbeiten. Man sollte Organisationsfragen in den Hintergrund stellen und sich auf Inhalte konzentrieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2010)