Lehrpläne radikal entrümpeln

Lehrplaene radikal entruempeln
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Weniger Stoff. Schüler müssen vor allem lernen, wie sie Wissen anwenden. Der Fächerkanon gehört reformiert.

Genug gestopft: In vielen Köpfen existiert der Wahn, Schüler müssten immer mehr wissen und immer mehr lernen. Doch statt nach dem Prinzip des Nürnberger Trichters Unmengen an Wissen in die Schüler hineinzupressen, sollten die Lehrpläne radikal reformiert und entschlackt werden. Experten plädieren dafür, den Stoff zu reduzieren und stärker auf Verständnis und Anwendbarkeit zu setzen. Um sich in einer Welt zurechtzufinden, in der sich Wissen und Informationen rapide vermehren, müssen Schüler lernen, Handlungs- und Anwendungskompetenzen zu entwickeln.

Das heißt: Wichtiger als das Auswendiglernen mathematischer Formeln ist die Frage, was man damit anfangen kann; sinnvoller als die Kenntnis aller Kriegsschauplätze im Ersten Weltkrieg ist ein Verständnis für die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Konflikts auf Europa. In Kanada etwa ist der Lernstoff in vielen Fächern auf das Wesentliche reduziert. Dass Schüler dann nicht mehr Fachmann auf jedem Gebiet sind, ist die logische Folge. Ob das in einer komplexen Wissensgesellschaft aber nötig ist, darf man ohnehin bezweifeln. Schüler müssen (auch) wissen, wie sie Informationen finden, wie sie sie einordnen und was sie damit anfangen können. Nicht zuletzt bietet weniger Stoff gleichzeitig die Chance, in die Tiefe zu gehen.

Ein anderer Punkt ist der Fächerkanon, der an den AHS seit 100 Jahren annähernd gleich geblieben ist (sieht man von Informatik ab). Auch wenn man die leidige Debatte um die Sinnhaftigkeit des Lateinunterrichts ausklammert, stellt sich die Frage: Lernen wir noch das Richtige? Neue Medien brauchen einen fixen Platz, Sozialwissenschaften könnten aufgewertet werden; politische und vor allem wirtschaftliche Fragen müssen in der Schule diskutiert werden. Oft genannt und selten umgesetzt ist der Vorschlag, die Naturwissenschaften zusammenzulegen, anstatt Biologie, Physik und Chemie häppchenweise zu servieren.

Ja zur teilzentralen Matura

Eine teilzentrale Matura ist auch bei einem entschlackten Lehrplan sinnvoll: Die neue Reifeprüfung soll im Jahr 2014 an allen österreichischen AHS eingeführt sein, ein Jahr später auch an den BHS. Wie die Bildungsstandards testet auch die teilzentrale Matura Kompetenzen, anstatt reines Sachwissen abzufragen. Die Umsetzung durch das Bildungsforschungsinstitut BIFIE wird allerdings (vor allem vonseiten der Lehrervertreter) kritisiert: Worauf die Schüler tatsächlich vorbereitet werden müssten, sei noch unklar; auch die Schwerpunkte unterschiedlicher Schulen blieben unberücksichtigt.

Letzteres trifft nur auf den ersten Blick zu: Denn Schwerpunkte setzen können die Schulen weiterhin – im mündlichen Teil der Reifeprüfung. Der schriftliche Teil garantiert, dass jeder Maturant einen notwendigen Mindeststandard erfüllt. Für die Absolventen verringert das das Risiko, dass sie ohne ausreichende Fähigkeiten in Richtung Uni oder Arbeitsmarkt entlassen werden. Die Lehrer haben (so die Schüler gut abschneiden) die Bestätigung, dass sie tatsächlich gute Arbeit leisten.

In vielen Ländern sind zentrale Vorgaben für die Reifeprüfung seit Langem gang und gäbe, etwa in Finnland. In Kanada werden überhaupt die Leistungen der Schulen evaluiert – und veröffentlicht. Das soll die Vergleichbarkeit, aber auch die Umsetzung des Lehrplans sicherstellen. Schulen, deren Schüler schlecht abschneiden, bekommen Unterstützung, Lehrer ein detailliertes Feedback. Das Ziel: Konstante Verbesserung.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2011)

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