PISA-Chef: "Entweder ich bin ein Genie oder halt nicht"

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PISA-Chef Andreas Schleicher spricht mit Unterrichtsministerin Claudia Schmied im "Presse"-Interview über fehlenden persönlichen Einsatz von Schülern und Eltern und die dringend nötige "Kultur des Gelingens"

Die Presse: Die OECD bewertet mit der PISA-Studie und „Education at a Glance“ regelmäßig weltweit die Bildungssysteme. Beginnen wir daher gleich mit noch einer Bewertung: Wie zufrieden sind Sie mit Unterrichtsministerin Claudia Schmied?

Andreas Schleicher: Positiv bewerte ich die Reformdynamik, die Paradigmenwechsel, die Schmied ausgelöst hat. Sie finden in Europa wenige Länder, in denen sich in so wenigen Jahren so viel verändert hat wie in Österreich – mit der Neuen Mittelschule, Ganztagesbetreuung, der modularen Lehrerbildung. Derzeit das Problem: Vieles davon ist erst in den Anfängen. Die Ansätze sind besser als die Umsetzung.

Das klingt wertschätzend, passt aber nicht ganz zu den Ergebnissen der OECD-Studien. Diese sind für Österreich zumeist weniger erfreulich.

Claudia Schmied: Die Ergebnisse dieser Studien sind wichtig, aber oft nur verkürzte Momentaufnahmen. Als solche müssen wir sie sehen. Um Erfolge zu sehen, brauchen wir einen längeren Atem. Und da sind wir auf dem richtigen Weg.


Ist das nicht eine zu billige Ausrede, immer nur darauf zu verweisen, dass die Reformen „langfristig“ wirken? Deutschland etwa hat rasch und erfolgreich auf die schlechten Leseergebnisse bei PISA reagiert.

Schleicher: Die schlechten PISA-Ergebnisse Österreichs hätten die Politik zu oberflächlichen Maßnahmen verleiten können. Das ist nicht passiert. Und das war richtig. In Österreich ist die Chancengerechtigkeit ein Problem. Da muss man, wie Österreich es getan hat, im Kindergarten ansetzen. Natürlich dauert es dann – wahrscheinlich bis zum Jahr 2018 – , bis man die Auswirkungen spürt.
Schmied: Wir leben in einer Zeit, in der wir gerne delegieren und alles rasch erledigt wissen wollen. Zu sagen: „Hier ist der PISA-Test. Jetzt macht drei Maßnahmen, dann ist alles gut“, funktioniert aber nicht. Gerade bei Bildung kommt es auf den persönlichen Einsatz an. Da geht es auch um Werte und Haltungen, um eine Kultur des Gelingens, die wir etablieren müssen.

Schleicher: Die OECD hat Zahlen dazu. Bei den staatlichen Bildungsausgaben liegt Österreich ganz gut. Wenn es um die persönliche Investitionsbereitschaft geht, aber nicht. Wenn sie in Österreich 15-Jährige fragen, woher Erfolg kommt, sagen viele: „Das ist alles eine Frage von Talent, entweder ich bin ein Genie oder halt nicht.“ Wenn sie dieselbe Frage in China stellen, sagen neun von zehn Schülern: „Erfolg hängt davon ab, was ich dafür tue. Und ich vertraue, dass mich meine Lehrer dabei unterstützen.“ Nur dort, wo Eltern, Schüler und Lehrer sich einig sind, dass sie alle Verantwortung tragen, stimmen die Bildungsergebnisse. In Japan etwa sind die wichtigsten Akteure in der Schulpolitik nicht die Gewerkschaft oder das Ministerium. Sondern die Eltern-Lehrer-Verbände, die an jeder Schule sitzen. Die wollen das Beste für das Kind.

Ist dieses „Wollen“ in Österreich nicht stark genug ausgeprägt?

Schmied: Es kann nie genug Wollen geben. Ich würde mir von der Gewerkschaft wünschen, sich an die Spitze einer Qualitätsoffensive zu stellen, die die Profession des Lehrers in der Anerkennung fördert.
Schleicher: Auch die Eltern sind gefordert. Sie müssen Nachfrage nach guter Bildung schaffen. In Finnland gibt es am Ende des Schuljahres nicht einfach nur Noten, da setzen sich Eltern, Schüler und Lehrer zusammen und überlegen, was jeder beitragen kann.
Schmied: Schule muss zu einer gemeinsamen Aufgabe werden. Derzeit suchen viele oft nur den Schuldigen – und das können dann alle sein, nur nicht man selbst.

Schleicher: Es geht auch nicht darum, dass die Eltern jeden Tag drei Stunden mit den Kindern lernen. Schon die einfache Nachfrage „Wie war es heute in der Schule?“ beeinflusst die Bildungsleistung positiv. Das zeigen Studien. Eltern müssen Interesse zeigen, was ihr Kinder tut. Dafür braucht es auch Transparenz im System. Ergebnisse guter Bildungsarbeit müssen sichtbar sein.

Mit Transparenz haben wir in Österreich ein Problem. Die Ministerin hat Bildungsstandards eingeführt, für die alle Schüler getestet werden. Und die Eltern dürfen nicht erfahren, welche Schule wie gut abgeschnitten hat.

Schleicher: Ich halte das für problematisch. Ich bin kein Freund von verkürzten Rankings. Aber Transparenz und Schulvergleiche sind wichtige Instrumente. In Australien gibt es etwa eine Homepage, auf der sich Schulen mit ihren Ergebnissen präsentieren. Die Eltern können vergleichen.

Diese Idee könnte man aufgreifen.

Schmied: Ja, aber behutsam. Solange wir in Österreich vielfach keine Anerkennungs-, sondern eine Abwertungskultur haben, bringt uns der Vergleich nicht weiter. Die Bildungsstandards sind die allererste Maßnahme in der Geschichte der österreichischen Schulpolitik, sich flächendeckend mit dem Thema Qualität auseinanderzusetzen.

Die OECD bemängelt fehlende Durchlässigkeit im österreichischen Schulsystem. Ist die viel kritisierte Neue Mittelschule der richtige Weg oder nur eine teure Version der Hauptschule?

Schleicher: Ich halte die Reform für den richtigen Zwischenschritt. Alles schlagartig auf ein integriertes System, also Gesamtschule, umzustellen, hätte nicht funktioniert. Sie müssen die Lehrer im Boot haben, das dauert. Inzwischen in Hauptschulen zu investieren und nicht zu warten, bis sie als Restschule in sich zusammenbricht, war klug.

Wenn alle Reformschritte so gut sind, wie Sie sagen, können wir davon ausgehen, dass Österreich in ein paar Jahren an der PISA-Spitze stehen wird.

Schleicher: So würde ich es nicht formulieren. Aber wir werden bei der nächsten Veröffentlichung 2013 sehen, dass es einen Zusammenhang zwischen den Reformen und den Ergebnissen gibt.

Einen positiven Zusammenhang?

Schleicher: Ich gehe davon aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2012)

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