Ohne Ausbildung ins Klassenzimmer

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Immer häufiger stehen Unbetreute und überforderte Studierende als Lehrkraft vor der Klasse. Sie haben keine abgeschlossene Ausbildung und werden oft nicht unterstützt. An Pflichtschulen 98 Studenten angestellt.

Wien. In Zeiten des Lehrermangels müssen sich Schulen zu helfen wissen, um einen vollen Stundenplan gewährleisten zu können: Sie können entweder dem bereits angestellten Personal noch mehr Überstunden aufbürden. Oder aber Lehrer aufnehmen, die ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen haben. Zweiteres wird immer beliebter – und bleibt dabei nicht ohne Probleme.

Im aktuellen Schuljahr wurden in Wien an den Pflichtschulen 98 Studenten angestellt, im Bereich der AHS sind es 86. Die zuständigen Stellen erwarten einen Anstieg, denn auch der Lehrermangel wird sich in den kommenden Jahren ausweiten. An der Universität Wien gibt es bereits eine eigene Lehrveranstaltung für die Lehrer ohne Abschluss: „Lehrende Studierende – frühe Praxis reflektieren lernen“ lautet der Titel.

Karin Dobler vom Institut für Bildungswissenschaft leitet das Seminar; sie ist allerdings nicht zufrieden damit, wie ihre Studenten an den Schulen eingesetzt werden: „Aus unserer Sicht ist es ein Riesenproblem, dass sie nicht betreut werden.“ Denn: Tatsächlich bekommen die Sondervertragslehrer, so der offizielle Name, weniger Unterstützung bei ihrer Arbeit als Junglehrer, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Während dem regulären Junglehrer im ersten Jahr im Unterrichtspraktikum ein erfahrener Lehrer zur Seite gestellt wird, der verantwortlich für seine Arbeit ist, ihn kontrolliert und ihm Feedback gibt, hängen Sondervertragslehrer in der Luft.

Klagemauer der Sonderlehrer

Im Seminar zur „Frühen Praxis“ wurde deshalb eine Klagemauer erstellt – die alltäglichen Probleme, von denen die Studenten erzählen, sind mannigfach. Sie wissen nicht, was von ihnen erwartet wird, so ein Kritikpunkt. Sie scheitern an ganz alltäglichen Dingen wie der Korrektur von Hausaufgaben und Schularbeiten und wissen nicht, wie sie Disziplin erreichen. Manche haben Probleme damit, sich als junger Mensch von den Schülern abzugrenzen, und wieder andere scheitern an der Vereinbarkeit von Arbeit und Studium.

Denn viele Direktoren drängen die studentischen Lehrer dazu, mehr Stunden zu leisten, als sie eigentlich wollen. „Manche studieren noch im ersten Abschnitt und müssen parallel in naher Zukunft eine Matura abhalten“, erzählt Karin Dobler. Das sei eine massive Überforderung.

Kein Feedback, keine Kritik?

Doch das wahre Problem sei, dass diese Lehrer kein Feedback bekämen. Zwar hat der Stadtschulrat Wien die Direktoren beauftragt, ihnen Mentoren zur Seite zu stellen. In der Realität sei das jedoch nur an wenigen Schulen tatsächlich der Fall. Wenn Sondervertragslehrer zwei Jahre lang voll unterrichten, fällt für sie sogar das sonst verpflichtende Unterrichtspraktikum weg. In diesem Fall gleichen sie ihr Defizit möglicherweise nie aus, befürchtet Bildungswissenschaftlerin Dobler. Ein Schaden für die Schüler, gleichwohl wie für die Lehrer.

Dennoch bieten sich viele Studenten den Schulen als Lehrer an: „Ich sehe nur meine Vorteile“, erzählt etwa Kristin Jaksch. „Denn so habe ich während des Studiums einen sinnvollen Job.“ Sie unterrichtet bereits im zweiten Jahr Chemie an einer Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe in Wien. Mentor hat sie keinen. Sie hat aber Glück und wird von den Kollegen unterstützt. Ohne diese freiwillige Arbeit anderer Pädagogen würde sie mit größeren Problemen kämpfen.

Für 590 Euro netto im Monat (Sondervertragslehrer an höheren Schulen werden im Gehalt wie Pflichtschullehrer eingestuft) unterrichtet die Studentin 10 Stunden die Woche. Tatsächlich arbeite sie dafür aber 20 bis 30 Stunden. Heuer kamen an ihre Schule noch zwei weitere Kolleginnen, die mit ihrer Ausbildung noch nicht fertig sind, erzählt Jaksch.

Die AHS-Lehrervertreter glauben, dass in den kommenden Jahren immer mehr Studenten in den Klassenzimmern stehen werden. Die Schulen hätten keine andere Wahl – und würden immer öfter die Initiative ergreifen: Die Direktoren wenden sich an ehemalige Absolventen oder Studenten, die ein Praktikum an ihrer Schule gemacht haben. In diesem Fall konnten die Junglehrer zumindest einmal Unterrichtspraxis unter der Anleitung eines erfahreneren Lehrers sammeln.

Auf einen Blick

In Wien wurden im Pflichtschulbereich im aktuellen Schuljahr exakt 98 Studenten angestellt, an den Allgemeinbildenden Höheren Schulen haben 86 „Quereinsteiger“ Sonderverträge bekommen. Wegen des zunehmenden Lehrermangels wird erwartet, dass die Zahl in den nächsten Jahren stark steigt. Die Direktoren werden angehalten, den Lehrern ohne abgeschlossene Ausbildung Mentoren zur Seite zu stellen. Verpflichtende Maßnahmen zur Unterstützung bzw. Kontrolle der Junglehrer gibt es aber nicht. Wenn sie zwei Jahre mit voller Lehrverpflichtung oder ein Jahr im Ausland gearbeitet und ihre Ausbildung abgeschlossen haben, werden sie ordentliche Lehrer. Das Unterrichtspraktikum müssen sie dann nicht mehr nachholen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2010)

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