Volksbegehren gestartet, Umsetzung bleibt ungewiss

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Im Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit tourte der frühere SPÖ-Vizekanzler Hannes Androsch von einer Veranstaltung zur nächsten. Bisher führten aber nur vier der 34 Volksbegehren zu tatsächlichen Reformen.

Wien/Aich/ /Ib./J.n./Pon/Thea. Es kann kein Zufall sein, dass die Uni Salzburg ausgerechnet gestern, Donnerstag, ankündigte, Hannes Androsch das Ehrendoktorat zu verleihen. Denn seit gestern läuft auch die Eintragungswoche für das von ihm initiierte Volksbegehren. Im Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit tourte der frühere SPÖ-Vizekanzler in den letzten Tagen von einer Veranstaltung zur nächsten. Ob sein Engagement Wirkung zeigt, wird sich am 10.November weisen. Die Mehrheit der Volksbegehren war bislang nur von wenig Erfolg gekrönt. Die Fakten zum Volksbegehren:

1. Was sind die zentralen Forderungen des Bildungsvolksbegehrens?

Um eine möglichst große Anzahl an Unterstützern zu gewinnen, blieben die Forderungen sehr vage. Wenngleich man sich nicht auf die Forderung nach einer „Gesamtschule“ einigen konnte, ist die „gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen“ ein zentrales Anliegen. Außerdem gefordert: die Einführung einer Ganztagsschule und die Abschaffung des Sitzenbleibens. Zudem soll der parteipolitische Einfluss im Bildungswesen zurückgedrängt und den Schulen mehr Autonomie zuteil werden.

2. Warum fordert Androsch eine „Finnlandisierung“?

Finnland soll als Vorbild für die Reform dienen. Dort hat man vor etwa zwanzig Jahren eine große Bildungsreform gestartet. Der PISA-Test zeige den Erfolg, so die Initiatoren. Besonders die bessere soziale Durchmischung durch das Führen von ganztägigen Gesamtschulen sei ein zentraler Erfolgsfaktor des finnischen Systems. Auch die universitäre Ausbildung der Lehrer und das bessere Image dieser seien wichtig. Der Fokus eines neuen Schulsystems soll vor allem auf der frühestmöglichen Förderung aller Kinder sowie auf einer starken sozialen Durchmischung liegen.

3. Ab wann ist das Androsch-Begehren ein Erfolg?

Auf eine genaue Anzahl der Unterschriften möchte sich der Initiator nicht festlegen. Es gehe nicht um Zahlen, sondern um die erfolgreiche Umsetzung der Forderungen. Durch das Begehren soll ein „kräftiger Herbststurm“ ausgelöst werden, dessen Windstärke zumindest so stark sein soll, dass der politische Widerstand weggefegt wird, sagt Androsch. Vorbild könnte dabei das ORF-Volksbegehren aus dem Jahr 1964 sein. Klar ist: Es braucht zumindest 100.000 Unterschriften, damit die Initiative im Nationalrat behandelt wird.

4. Wie, wann und wo kann man das Volksbegehren unterzeichnen?

Das Volksbegehren ist gestern gestartet und läuft bis 10.November. In diesem Zeitraum können alle Österreicher ab dem Alter von 16 Jahren ihre Unterschrift abgeben. Und zwar in den Gemeinde- bzw. Bezirksämtern ihres Hauptwohnsitzes. Wer vor dem Sommer bereits eine der 8032 Unterstützungserklärungen zur Einleitung des Volksbegehrens abgegeben hat, darf nicht mehr unterschreiben. Diese Unterschriften zählen bereits zum Gesamtergebnis.

5. Was bringt ein Volksbegehren eigentlich?

Wenig. Wird es ausreichend unterstützt, dann bedeutet dies bloß, dass es im Nationalrat behandelt werden muss. Es gibt kein Recht der Initiatoren darauf, dass über die Materie abgestimmt wird.

6. Gibt es andere Möglichkeiten direkter Demokratie, mit denen man mehr erreichen kann?

Es gibt zwar auch Volksbefragungen und Volksabstimmungen. Beiden ist aber gemeinsam, dass sie erst durchgeführt werden, wenn eine Mehrheit im Nationalrat das will. Und bei Volksbefragungen ist das Ergebnis zudem auch für die Politik nicht bindend.

7. Warum kann das Volk das Parlament nicht zu Gesetzen zwingen?

In Vorarlberg wollte man dies auf Landesebene sogar einführen. Eine von der Mehrheit der Stimmberechtigten unterstützte Gesetzesinitiative sollte auch gegen den Willen des Landtages zum Gesetz werden. Der Verfassungsgerichtshof entschied aber 2001, dass dies dem in der Bundesverfassung vorgesehenen „Grundgedanken der repräsentativen Demokratie“ widerspricht. Gegen den Willen von Abgeordneten dürfe kein Gesetz zustande kommen. Wenn man dies ändern möchte, müsse man erst die Verfassung umschreiben.

8. Gab es trotzdem Volksbegehren, die etwas bewirkt haben?

Von allen 34 bisherigen Volksbegehren zogen nur vier politische Konsequenzen nach sich. Das Rundfunk-Volksbegehren 1964 wurde von 832.353 Österreichern unterzeichnet und sorgte 1966 für ein neues Rundfunk-Gesetz. Umgesetzt wurden auch Forderungen zweier im Jahr 1969 abgehaltenen Volksbegehren: die Einführung der 40-Stunden-Woche und die Abschaffung der 13. Schulstufe. Das Familien-Volksbegehren 1999 war mit 183.154 Unterschriften zwar eines der schwächsten, trotzdem wurde dessen Forderung nach einem „Karenzgeld für alle Väter und Mütter“ umgesetzt: Seit 2002 gibt es das Kinderbetreuungsgeld für alle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2011)

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