Altes Wissen neu entdeckt

(C) Caludia Feigl
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Ein Blick zurück in die Uni-Sammlungen: Seit dem 18. Jahrhundert wurden Schätze gehortet, die nun öffentlich zugänglich gemacht werden.

Von alten Forschungssammlungen zu aktuellen Erkenntnissen – nach dieser Formel untersuchen derzeit Lehrende und Studierende der Fakultät für Lebenswissenschaften der Uni Wien Flora und Fauna der Adria: Wie Susanne Weigelin-Schwiedrzik, die für Forschung zuständige Vizerektorin, an diesem Beispiel ausführt, verfügt die Uni Wien über hunderte Präparate aus dem 19. Jahrhundert, sozusagen Zeugnisse aus den Küstenländern der Habsburgermonarchie sowie aus der Adria. Das sind in einer Formaldehydlösung gelagerte Feuchtpräparate, Skelette, Muschel- und Schneckenschalen, Krebspanzer und Korallen sowie wissenschaftliche Glasmodelle. Viele der Exponate sind im heutigen kroatischen Küstenland nicht mehr aufzufinden.

Stichwort alte Sammlungen: Am vergangenen Donnerstag wurde die Publikation „Schaukästen der Wissenschaft – die Sammlungen an der Universität Wien“ (212 S., 29,90 Euro, Böhlau) präsentiert, in der kommenden Woche soll im neuen Entwicklungsplan der Uni Wien eine Sammlungsordnung beschlossen werden.


Verräumt und vergessen. „Das ist eine Grundsatzentscheidung“, sagt Weigelin-Schwiedrzik, „in der sich das Rektorat zur Pflege der alten Bestände bekennt.“ Man unterscheidet zwischen aktiven und inaktiven Sammlungen: Die aktiven werden noch heute benutzt und verbleiben an den Instituten bzw. Fakultäten. Die inaktiven – der weitaus kleinere Teil der mehr als 100 – Sammlungen kommen in die Obhut der Universitätsbibliothek.

Claudia Feigl, Sammlungsbeauftragte der Uni und Herausgeberin des „Schaukästen“-Buches, verweist auf die erst kürzlich wieder erstandene Aktualität der Uni-Sammlungen. Zuvor wurden diese Bestände, die mit der technologischen Entwicklung nicht Schritt halten konnten, großteils aus dem aktuellen Lehr- und Forschungsbetrieb genommen, sie wurden verräumt und vergessen. Viele Studierende hatten keine Ahnung von den in ihren Instituten befindlichen Schätzen. 1999 zeigte die Humboldt Universität Berlin in einer Ausstellung 1200 Objekte aus ihren Archiven und löste ein unerwartetes Echo aus: In nur drei Monaten stürmten mehr als 80.000 Besucher die Schau.

Das war der Auftakt zu Bestrebungen an anderen Unis und zur Gründung eines Netzwerks. 2007 wurde Feigl von der Uni Wien mit ihrem Aufarbeitungsprojekt betreut. Mit der neuen Publikation, in der 51 Sammlungsverantwortliche über ihre jeweiligen Bestände berichten, liegt nun eine mit vielen Abbildungen versehene Übersicht vor. Der überwiegende Teil der Sammlungen wurde im Zuge von Lehr- und Forschungszwecken angelegt. Die ältesten Sammlungen datieren aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dabei handelt es sich um Anschauungsmaterialien aus der Mineralogie, Zoologie und Botanik. 1774 kam es zur ersten Zusammenfassung im „Naturalien-Cabinet“ der Uni Wien. Unter anderem sei, so ein Bericht aus dem Jahr 1796, „der vormals dem k.k. Thiergarten zu Schönbrunn umgekommene 15-jährige Elephant, dessen Haut ausgeschoppt, und dessen Beine von dem berühmten Herrn Professor Barth sceletesirt, und alda aufgestellt wurden, besonders merkwürdig“.

Der überwiegende Teil der Sammlungen ist öffentlich nicht zugänglich. Ausnahmen bilden der Botanische Garten im dritten Bezirk und die Universitätssternwarte im 19. Bezirk, wo Führungen angeboten werden. Zudem zeigen einzelne Institute in Vitrinen Teile ihrer Bestände. Eine Übersicht über die mehrere Millionen Stück umfassenden Sammlungen findet sich zudem im Internet: http://bibliothek.univie.ac.at/sammlungen.

Einige Sammlungsobjekte sind allgemein bekannt, etwa die Insignien der Universität (Zepter, Rektorenkette, Talare). Oft und oft abgebildet und publiziert ist der als „Riesenknochen von St. Stephan“ bekannte. Oberschenkelknochen eines Mammuts, der sich im Geologischen Archiv der Uni befindet. Er wurde vermutlich beim Aushub für den Nordturm des Stephansdoms geborgen und mit der Jahreszahl 1443 sowie dem habsburgischen Wahlspruch „AEIOU“ versehen.

Mit dem neuen Projektschwerpunkt werden die Bestände nun restauriert und digitalisiert, sodass sie künftigen Benutzern und einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Gleichzeitig weist Feigl darauf hin, dass auch gegenwärtig Sammlungen entstehen wie etwa „Frauennachlässe“ amInstitut für Geschichte, das „Elfriede Jelinek-Forschungszentrum“ am Institut für Germanistik oder das „Western Himalaya Archive Vienna“ am Institut für Kunstgeschichte.


Sicherung des Befundes. An der Uni wird seit mehr als 20 Jahren zur Kulturgeschichte Inner- und Südasiens geforscht. Für die Leiterin des Western Himalaya Archive, Verena Widorn, liegt der Mehrwert der Sammlungen in der Vielfalt der visuellen Medien, „die sowohl die Interessen der beteiligten Wissenschaftler und Fotografen als auch das interdisziplinäre Umfeld widerspiegeln“. Die Forschungsreisen sind in 1.290.000 Bilddaten dokumentiert. Damit entstand eine Befundsicherung von Kunst- und Kulturgegenständen, Städten und Dörfern. Dies veranschauliche, so Widorn, deren Veränderungen, Verfall und Zerstörungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2012)

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