Klischee: Bei Mama und Papa wohnen nicht nur Nesthocker

(c) FABRY Clemens
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Das „Hotel Mama“ ist kaum der Grund, warum Studenten zu Hause wohnen.

Wien. So unterschiedlich die Frage des Erwachsenwerdens auch beurteilt wird: Dass der Auszug aus dem Kinderzimmer dabei eine Rolle spielt, ist Konsens. „Zum Erwachsensein gehört Unabhängigkeit, eine eigene Wohnung, ein Job. Und dann wohl noch ein Gefühl, von dem ich aber nicht weiß, wann es kommt“, sagt etwa Clara P. Sich selbst sieht die 20-Jährige denn auch noch nicht wirklich als Erwachsene – sie wohnt noch bei ihrer Mutter. Damit liegt die Geschichtestudentin im Trend, denn die Ablösung vom Elternhaus findet generell immer später statt.

18 Prozent der Studenten wohnen noch im elterlichen Haushalt, wie die 2013 präsentierte Studierendensozialerhebung zeigt. Zum Vergleich: In einem Studentenheim leben nur neun Prozent, ein WG-Zimmer haben 25 Prozent der Studenten. Doch macht die Wohnform tatsächlich einen so großen Unterschied aus, wie Erzählungen vom „wilden Studentenleben“ uns so gern glauben machen wollen?

Offenbar ja. So gab in einer französischen Umfrage rund jeder dritte Student, der in einer WG lebt, an, „übermäßig“ Alkohol zu konsumieren. Unter denjenigen, die bei ihren Eltern leben, war es nur jeder Fünfte. Kein Wunder, wird als Grund für das Trinken ja vor allem die Geselligkeit genannt. Der Gesundheit ist das Leben bei den Eltern offenbar auch aus einem anderen Grund zuträglich: WG-Bewohner gehen viel seltener zum Arzt, wenn sie krank sind.

Männer wohnen öfter zu Hause

Das Leben bei den Eltern hat für viele Studenten klare Vorteile. Es bietet mehr Komfort, die Hausarbeit wird oft von der Mutter erledigt und den Studenten bleibt somit auch mehr Zeit, um sich auf ihr Studium zu konzentrieren. Das gefällt offenbar vor allem jungen Männern: Sie wohnen deutlich öfter bei ihren Eltern als Frauen, wie die Studie „Ablösung vom Elternhaus“ (2011) des Österreichischen Instituts für Familienforschung zeigt. Doch maßgeblich ist meist nicht der Wunsch, sich umsorgen zu lassen – sondern schlicht und einfach die Tatsache, dass die Wohnkosten eine große Belastung sind.

Auch für Clara P. bringt das Wohnen zu Hause vor allem den Vorteil, dass sie finanziell nicht unter Druck steht. Während einige Kommilitonen im Sommer arbeiten müssen, um sich ihre Wohnungen und ihr Leben zu finanzieren, kann sie in dieser Zeit reisen. „Das ,Hotel Mama‘-Klischee trifft bei mir aber nicht zu“, sagt die Geschichtestudentin. „Ich koche besser als meine Mutter, und die Hausarbeit wird auch nicht ständig für mich erledigt.“ Doch Claras Wohnsituation ist ohnehin weit weg vom Abziehbild des bürgerlichen Wohnens: Sie ist eher unkonventionell aufgewachsen – in der Studenten-WG ihrer Mutter.

Das Beispiel macht deutlich: Nicht nur die Studierenden haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert, sondern auch ihre Eltern. Insgesamt haben junge Menschen heute ein weit entspannteres Verhältnis zu Vater und Mutter. Und können ihr Leben relativ uneingeschränkt führen, während sie zu Hause wohnen. Dazu passen auch die Antworten auf die Frage, wie sich ein Auszug innerhalb der nächsten drei Jahre individuell auf ihr Leben auswirken könnte. Laut Studie finden Studenten demnach, dass eine eigene Wohnung zwar emotionale Vorteile bringen würde (für die Bereiche Autonomie, Sexualität, Lebensfreude), diese aber marginal sind. Dagegen würde sich aber die finanzielle Situation verschlechtern – und zwar in einem größeren Ausmaß als der emotionale „Gewinn“.

Worauf man bei all der Harmonie aber doch aufpassen sollte, wenn man noch zu Hause wohnt: Wer einmal 29 Jahre oder älter ist, denkt – grob gesagt – weniger an den Auszug als Jüngere. Und ans Erwachsenwerden auch nicht, könnte man meinen.

AUF EINEN BLICK

Ablösung vom Elternhaus. 92 Prozent aller 18- bis 19-Jährigen in Österreich leben bei ihren Eltern. Danach nimmt die Zahl rapide ab: 61 Prozent der 20-bis 24-Jährigen, aber nur 30 Prozent der 25- bis 29-Jährigen wohnen bei Vater oder Mutter. Unter den 35-bis 39-Jährigen sind es dann nur noch neun Prozent.

Auszugswunsch nimmt ab. Insgesamt gilt, dass Söhne eher bei den Eltern wohnen. Das zeigt sich vor allem bei den 25- bis 29-Jährigen: Nur 21 Prozent der Frauen, aber 39 Prozent der Männer leben bei den Eltern. Die Absicht auszuziehen nimmt bis zum Alter von 29 Jahren zu – und fällt dann wieder ab. Das zeigt die Studie „Ablösung vom Elternhaus“ des Österreichischen Instituts für Familienforschung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2014)

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