„Es gibt genügend Gründe zu rebellieren“

(c) MATTHIAS_HOMBAUER
  • Drucken

Streitgespräch. Die grüne ÖH-Chefin, Viktoria Spielmann, und der Chef der ÖVP-nahen AG, Markus Habernig, über Politik, Pragmatismus und Beschränkungen.

Die Presse: Es ist ruhig geworden um die Studierenden und die Universitäten. Gibt es nichts, wogegen man rebellieren muss?

Viktoria Spielmann: Doch. Etwa die Zugangsbeschränkungen, die unter Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner wieder Thema sein dürften. Studieneingangsphase und Studiengebühren sind auch brennende Themen.

Markus Habernig: Demonstrieren sollte aber das letzte Mittel sein. Zuerst sollte man den Dialog suchen. Erst wenn man vor verschlossenen Türen steht und die Brücke zum Ministerium nicht schlagen kann, sollte man auf die Straße gehen.

Spielmann: Ich sehe das anders. Es gibt immer genügend Gründe zu rebellieren. Als ÖH-Vertretung haben wir etwa die Demonstration gegen die Zusammenlegung von Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium organisiert.

Das ist ein Dreivierteljahr her. Seitdem war kein Student mehr mit einem Plakat auf der Straße.

Spielmann: Das stimmt nicht. Zu den Protesten gegen den Akademikerball haben wir mit aufgerufen. Auch das ist natürlich ein hochschulpolitisches Thema.
Habernig: Das finde ich nicht. Ich bin der Meinung, dass man Ideologie bewusst aus der ÖH heraushalten muss. Man sollte für alle Studierenden da sein und sich nicht in ideologisch aufgeladenen Debatten einmischen. Es gibt sehr viele wichtigere Themen, auf die die ÖH ihren Fokus legen sollte.
Spielmann: Das tun wir ja auch täglich. Dem widerspricht nicht, zu einem gewissen gesellschaftspolitischen Thema Stellung zu nehmen.
Habernig: Aber ehrlich: Wodurch ist die ÖH in den vergangenen zwei Semestern medial aufgefallen? Das waren die Akademikerball-Proteste und die Binnen-I-Debatte.
Spielmann: Warum steht die AG nicht endlich zu ihrer Ideologie? Sie heißt nämlich Elite. Ihr propagiert schließlich Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren.

Dazu später. Grundsätzlich: Wie viel Pragmatismus ist in der Studentenpolitik erlaubt?

Habernig: Es braucht eine Vision, aber man muss auch einen gewissen Pragmatismus an den Tag legen. Man darf nicht an der Realität vorbeiagieren. Denn was bringen Reformen, die in zehn Jahren wirksam werden, jemandem, der jetzt an der Uni ist?

Spielmann: Ich glaube schon, dass es möglich ist, kritisch konstruktiv zu sein und zu den Grundwerten zu stehen, die man vertritt. Auch wenn das heißt, dass es nicht immer nach unseren Wünschen läuft.

Ist ein Teil des Realismus, dass die Aktionsgemeinschaft für Zugangsbeschränkungen an den Unis eintritt, Herr Habernig?

Habernig: Wir sind für Beschränkungen nur da, wo sie nötig sind. An der WU haben wir sie. Temporär ist das eine gute Lösung. Die Uni sollte die Studenten ja nicht belügen. Sie sollte ihnen nicht vorgaukeln, dass sie Platz für alle hat, wenn nur ein Bruchteil das Studium abschließen kann.

Spielmann: Das heißt, du findest Selektion gut.

Habernig: Nein. Langfristig muss man Studienplätze natürlich ausbauen. Aber die Bedingungen sind derzeit nun einmal so.

Spielmann: Das heißt, du orientierst dich nicht an den Wünschen der Studierenden, sondern an der Kapazität, die ein Rektorat vorgibt. Kann das wirklich das Ziel einer Studierendenvertretung sein?

Habernig: Ich sage es einmal so: Die Studierenden wollen ein qualitativ hochwertiges Studium.

Studierenden wird oft vorgeworfen, unpolitischer zu werden. Wie politisch sollten sie sein?

Habernig: Meiner Meinung nach muss klar sein, dass es nicht die Aufgabe der ÖH ist, die Leute politisch zu indoktrinieren.

Spielmann: Eine Studierendenbewegung soll kritisch und politisch sein. Das Bologna-System macht es derzeit aber schwierig, sich zu engagieren. Es war kein Zufall, dass Unibrennt gerade 2009 entstanden ist, als viele Studien auf Bachelor-Master umgestellt wurden: weil die Studierenden gemerkt haben, wie sich die Dinge verändern.

Habernig: Ich finde Bologna an sich ja gut, weil es die internationale Vergleichbarkeit steigert.
Spielmann: Bei der Implementierung ist aber viel schiefgelaufen.

Fehlt die Zeit, sich kritisch mit Dingen auseinanderzusetzen? Sich mit Uni-Politik zu befassen? Einen Hörsaal wie damals zwei Monate lang zu besetzen?

Spielmann: Die Verschulung des Systems und die schlechte soziale Absicherung machen es schwer, sich ehrenamtlich zu engagieren.Und es braucht natürlich ein gewisses Frustrationslevel, damit Leute auf die Straße gehen.

Habernig: Man hat aber auch jetzt noch Zeit, sich kritisch mit den Dingen auseinanderzusetzen. Und: Nicht alle wollen das. Jeder ist anders, jeder hat seine Vorlieben.

Apropos Frustrationslevel: Wann wird denn das erreicht sein?

Spielmann: Eine gewisse Frustration ist schon jetzt da. Die Regierung agiert aber geschickt. Dass immer nur eine kleine Zahl an Fächern zur gleichen Zeit zugangsbeschränkt wurde, war Taktik, damit die Studierenden nicht Sturm laufen. Sollten alle Fächer beschränkt werden, wird es sicher einen großen Aufstand geben.

Wenn Sie schon von Taktik sprechen: Es wäre Ihr Job, die Studierenden aufzuklären und zu mobilisieren. Oder lassen Sie sich da über den Tisch ziehen?

Spielmann: Nein, wir lassen uns sicher nicht über den Tisch ziehen. Mit dem Forum Hochschule zeigen wir, wie wir uns den alternativen Hochschulplan vorstellen.

Davon hat doch kaum ein Student etwas mitbekommen.

Spielmann: Wir haben die Studierenden auch immer darüber informiert, was wir für eine Taktik der Regierung halten, und dass wir gegen Beschränkungen sind. Das ist das politische Programm, für das wir auch gewählt werden.

Habernig: Da würde ich gern ansetzen: Wir sollten den Studierenden die Möglichkeit geben, sich in die Ausrichtung der ÖH einzubringen. Nicht nur alle zwei Jahre über die Wahlen, sondern laufend. Man sollte die Studenten fragen, was sie von bestimmten Verhandlungsthemen halten. Das kann man ja etwa über Facebook super machen.

Spielmann: Gegen mehr Einbindung spricht prinzipiell nichts. Ich halte nur nichts von unrepräsentativen Umfragen via Social Media.

Herr Habernig, wollen Sie, dass Studenten via Facebook über Beschränkungen abstimmen?

Habernig: Das ist von der Studienrichtung abhängig. Beschränkungen sind ja nicht überall sinnvoll.

Zu den Wahlen: Im Frühling wird das Studierendenparlament neu gewählt. Zuletzt war die Aktionsgemeinschaft stets stärkste Fraktion, die Koalition bildeten aber die linken ÖH-Fraktionen. Könnte sich das ändern?

Spielmann: Zum ersten Mal seit Jahren wird die Bundesvertretung wieder direkt gewählt. Allein dadurch wird sich einiges ändern.

Spielen Sie darauf an, dass die AG nicht mehr Erster sein könnte?

Spielmann: Die Stimmen werden sich jedenfalls anders verteilen, und bundesweit werden außerdem mehr Fraktionen wählbar sein.

Habernig: Ich hoffe natürlich, dass wir trotz dieser Verschiebungen stärkste Fraktion bleiben.

Könnten Sie beide sich vorstellen, eine Koalition einzugehen?

Habernig: Es gibt Gemeinsamkeiten, über manches wird man aber nicht hinwegkommen. Ich sehe die ÖH als Serviceeinrichtung, die den Studenten in den Mittelpunkt stellt.

Spielmann: Meiner Meinung nach ist das beste Service die Politik. Eine Trennung hat keinen Sinn. Gegensätzliche Grundwerte lassen sich nicht gut vereinbaren.

ZUR PERSON

Markus Habernig (23) ist seit einem Jahr Bundesvorsitzender der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft (AG), der stärksten Fraktion in der Österreichischen HochschülerInnenschaft. Habernig begann 2011, internationale Betriebswirtschaft an der Wiener Wirtschaftsuni zu studieren. Der gebürtige Kärntner war zuvor Referent für Bildungspolitik an der ÖH der Wirtschaftsuni.

ZUR PERSON

Viktoria Spielmann (27) ist seit Juli Chefin der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH). Sie gehört zu den grünen und alternativen StudentInnen (Gras), der drittstärksten ÖH-Fraktion. Spielmann studiert an der Uni Wien Politikwissenschaften und Vergleichende Literaturwissenschaft. Begonnen hat sie Studium und ÖH-Engagement an der Uni Innsbruck. Spielmann kommt ursprünglich aus Tirol.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Uni Live

Unibrennt: Was vom Studentenprotest geblieben ist

Vor bald fünf Jahren besetzten Studierende das Audimax. Sind die Studenten seitdem brav und pragmatisch geworden? Oder sind sie vielmehr heimliche Revolutionäre? Eine Bestandsaufnahme.
Studenten erzählen

So erlebten wir Unibrennt


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.