Ganz wissenschaftlich „Scheiße“ sagen

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Die dunkle Seite der Sprache – die beleuchtet der Fluchforscher Roland Ris, emeritierter Literatur-

UniLive: Sie haben Germanistik und Romanistik studiert. Was hat Sie schlussendlich in die unflätige Ecke getrieben?
Roland Ris: Es war das Interesse am Abseitigen der Sprache – dort, wo noch Freiheit und Kreativität ist. Die Initialzündung war aber, dass ich mich stark mit Soziolinguistik beschäftigte und gemerkt habe, was für Unterschiede es zwischen gesellschaftlichen Schichten in ihrer Sprache gibt. Am Anfang meiner Forschung stand also eine Art Sammelwut, diese Ausdrücke zu dokumentieren.

Fluchforschung wird international kaum betrieben. Gab es im Lauf Ihrer Karriere manchmal Schwierigkeiten, das Feld als „seriös“ zu verteidigen?

Ris: Ja, manche Kollegen hatten Vorbehalte, vor allem religiöse. Aber ich habe mich ja immer auch mit anderen Dingen beschäftigt – auch, weil es „die Fluchforschung“ so isoliert nicht gibt.

Worum geht es dabei?
Ris: Es geht um ein kleines Segment der Alltagssprache, das im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Menschen immer unterschiedlichund daher besonders interessant ist. Insofern ist die Disziplin keine rein linguistische, sondern auch eine soziologische und kommunikationswissenschaftliche.

Den Begriff vulgär verstehen Sie wahrscheinlich auf eine besondere Art...

Ris: Ich werte natürlich aufgrund meiner Natur als Forscher vulgäre Ausdrücke weniger, ich schreibe sie eher zu. Einer bestimmten sozialen Schicht oder einer Situation, in der Menschen häufig fluchen. Etwa im Schweizer Militärdienst, in dem viele zu fluchen beginnen, weil sie unter Druck stehen.

Wie wandeln sich Flüche und Schimpfwörter im Lauf der Zeit?

Ris: Sie haben eine Konjunktur wie die Mode, derzeit ist etwa alles „abartig“. Das Spektrum war aber früher breiter – es gibt eine Tendenz zur Vereinheitlichung.

Was mit Anglizismen zu tun hat?
Ris: Natürlich. Aus dem englischen „shit“ wurde ja das Wort „Scheiße“, das alle sagen. Aber es gibt noch kreative Nischen: „Eulenscheiße“ sagten manche, um etwas anderes als „Scheiße“ zu haben. Vielleicht werden wir das Wort dann doch wieder los...

Sie mögen es nicht?
Ris: Ich habe meine Mühe mit skatologischen Ausdrücken, also, wo es um Ausscheidungen geht.


Welche Rolle spielt eigentlich der religiöse Hintergrund, wenn ein Mensch flucht?
Ris: Flüche haben ja immer einen religiösen Hintergrund, wenn sie ihren Ursprung nicht in der Mythologie oder bei den Naturgewalten haben, wie etwa „Donnerwetter“.

Aber es gibt doch sicher Unterschiede beim Fluchen, je nach Konfession?

Ris: Ja. In den süddeutschen katholischen Gebieten wie Bayern oder der Innerschweiz war Fluchen traditionell mit Lebenslust verknüpft, man erfreute sich an Wörtern wie „Arscherlkrachen“ für furzen. Wenn es zu schlimm war, konnte man ja beichten. Das wäre im protestantischen Norden undenkbar, da gibt es eine sehr große Angst vor dem Bibelwort.

Wie äußert sich das?
Ris: Die Evangelikalen dürfen das Wort „gewiss“ nicht gebrauchen. Denn für sie weiß nur Gott, was gewiss ist. Der religiöse Hintergrund gilt aber nur mehr für stark konfessionell gebundene Kreise als Faktor – die Tabus sind großteils gefallen.

Wo wird besonders bösartig geflucht?
Ris: Im arabischen Raum gibt es immer noch Verfluchungen vom Typus „Der Teufel soll dich holen“ oder „Deine Mutter, die Hure“. So etwas hätte bei uns keine Basis. Auch in Russland spielt der Teufel immer noch eine große Rolle.

Und wie flucht Roland Ris, wenn ihm der Kofferraumdeckel auf den Kopf fällt?
Ris: Ich sage gerne „Gottfried Stutz“ – das ist einfach ein Name. Man hängt an Gott noch etwas dran, damit es weniger schlimm klingt. Aber ich fluche generell wenig. Vielleicht hat das mit meinem Naturell zu tun, ich rege mich selten auf.
Dennoch hat ein Dialektologe sicher einen Lieblingsfluch...
Ris: „Sternenlaterne“ sage ich gerne.

Und das ist ein Fluch?
Ris: Das kommt von „Der Fluch des Sterns soll dich holen“. Und Laterne hängt dran, damit es sich reimt. Ich mag Sterne.


Wie flucht eigentlich Österreich?
Ris: Ich weiß von keiner sehr entwickelten Fluchkultur. Es scheint mir eher eine gewisse Zurückhaltung gegeben. Die Leute wollen aber generell nicht gerne zugeben, dass sie fluchen. Es ist eigenartig – aber lieber geben die Leute sexuelle Ausdrücke preis, die sie verwenden, als Flüche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2008)

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