Topnoten, Praktika, Ausland: Wie viel Druck man sich machen sollte

(c) Clemens Fabry
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Sechs von zehn Studenten machen während des Studiums ein Praktikum, jeder Dritte geht ins Ausland. Was muss man alles mitbringen, um nach dem Abschluss auf dem Arbeitsmarkt gefragt zu sein?

Wien. Zu Beginn eine gute Nachricht: Wer sein Studium abschließt, der hat (noch immer) die vergleichsweise besten Chancen auf dem heimischen Arbeitsmarkt. Daran ändern auch die alarmierend hohen Arbeitslosenzahlen nichts. Während die allgemeine Arbeitslosenquote auf 10,5 Prozent geklettert ist, liegt jene von Akademikern mit 3,5 Prozent weiterhin deutlich darunter. Damit enden die guten Nachrichten aber – und der Druck auf die Studierenden beginnt.

Jobgarantie gibt es nämlich auch für sie keine mehr. 15.355 Akademiker sind derzeit arbeitslos gemeldet, und in der Statistik sind noch nicht einmal die frischgebackenen Studienabsolventen inbegriffen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Das Wissen um diese Situation und um die steigenden Erwartungen der Arbeitgeber verändert das Studienleben der Studierenden: „Es ist ein Modell entstanden, dem man als Studienabsolvent entsprechen sollte“, sagt Ursula Axmann, Geschäftsführerin des Career Centers an der Wirtschaftsuni. Teil dieses Idealbilds sind Topnoten, Mindeststudiendauer, Praktika und Auslandserfahrung. „Fehlt nach ein paar Semestern noch ein Baustein, werden die Studierenden nervös.“ Doch ist diese Nervosität berechtigt?

Jein. Tatsächlich schlafen die Kollegen – zugleich die Konkurrenz – nicht. 62 Prozent der Studenten haben laut einer 2010 erschienen Studie mindestens ein Praktikum während des Studiums gemacht. Mehr als die Hälfte sammelte sogar fachnahe berufliche Erfahrungen. Und jeder Dritte verbrachte mindestens ein Semester im Ausland. Nicht nur die Rivalität lässt die Nervosität so mancher Studierenden plausibel erscheinen. Durch die Umstellung der Diplomstudien auf Bachelor- und Masterstudien bleibt den Studenten oft auch weniger Zeit, die Bausteine zusammenzusetzen. „In Wahrheit gibt es während des Bachelors nur zwei Sommerferien, in denen man ein Praktikum machen kann“, sagt Axmann.

Nervös muss deshalb aber nicht jeder werden. Denn nicht alle müssen zwingend jeden Baustein sammeln. Meist ist keiner davon ein komplettes Knock-out-Kriterium. „Welche Bausteine man mitbringen sollte, hängt davon ab, welche Position in welcher Branche und welcher Firma ein Studierender anstrebt“, sagt Axmann. In der Regel kann man etwa sagen, dass große Rechtsanwaltskanzleien einen starken Fokus auf die Mindeststudienzeit legen, Unternehmensberatungen vor allem auf den Notenschnitt achten und für internationale Organisationen Auslandserfahrung ein Muss ist.

Über den Studientellerrand blicken

Bleibt die Frage, ab welchem Zeitpunkt man sich Gedanken darüber machen sollte, welche Bausteine man für die eigenen beruflichen Zukunftspläne sammeln muss. „In Wahrheit schon vor dem Studium“, sagt Axmann. Als „Einser-Schüler-Antwort“ bezeichnet das Thomas Wychodil, der das Akademikerzentrum des Arbeitsmarktservice (AMS) mitentwickelt hat. Es sei freilich auch danach noch nicht zu spät. Während des Studiums sollte dann aber schon über den Tellerrand – also über das eigene Studium – geblickt werden. Wohin? Das darf jeder Studierende selbst entscheiden. Richtungen gibt es viele: Es kann sich um ein Zweitstudium, eine Zusatzqualifikation, ein Praktikum, einen Nebenjob oder um ein Auslandssemester handeln. Selbst Projekte und Hobbys können für die berufliche Zukunft entscheidend sein.

Inwieweit das alles hilft? Für die Unternehmen bedeute ein Job neben dem Studium – egal, welcher –, dass der Bewerber weiß, wie betriebliche Abläufe funktionieren, und es gewohnt ist, regelmäßige Arbeitsleistung zu erbringen, erklärt Wychodil. Umgekehrt wirke jemand, der internationale Betriebswirtschaftslehre studiert und keine Auslandserfahrung gesammelt hat, „einfach eine Spur weniger überzeugend“. Doch nicht immer müsse man schon vorher wissen, wofür sich Extra-Engagement später einmal bezahlt mache. Erst kürzlich sei ein arbeitsloser Theologe, ein begeisterter Kletterer, bei Wychodil vorstellig geworden. Als Klettertrainer habe dieser auch mit Kindern gearbeitet. Einen Job hat er schlussendlich im Schulbereich gefunden.

Das Finden eines Jobs ist übrigens für die Hälfte der Studienabsolventen gar kein Problem. Denn 46 Prozent haben laut einer Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) direkt nach dem Abschluss eine Stelle. Weitere 24 Prozent suchen maximal drei Monate. Länger als ein halbes Jahr dauert es für 17 Prozent, eine Beschäftigung zu finden.

Hier spielen freilich auch die Studienrichtungen eine entscheidende Rolle. Doch es sind nicht nur die verrufenen Geistes- und Sozialwissenschaftler, die es derzeit schwer haben, wie Wychodil berichtet. Die zahlenmäßig größte Gruppe arbeitsloser Akademiker hat Wirtschaft studiert: 1642 arbeitslose Betriebswirte gab es im Jänner, gefolgt von 1063 Juristen und 531 Psychologen. Auch viele Publizistik- (524), Architektur- (490) und Biologieabsolventen (433) sind auf Jobsuche. In diesen Richtungen gibt es freilich auch relativ viele Absolventen.

„Frischgebackene Akademiker glauben oft nicht, dass sie einen weiten Weg gehen müssen, wenn sie einen Job finden wollen“, sagt Wychodil. Gemeint ist damit, dass sie nicht nur im eigenen Bereich, sondern womöglich in völlig anderen Sparten einsteigen können. Diese Flexibilität braucht es. Oder wie es Wychodil ausdrückt: „Uni-Absolventen glauben meist, dass ihnen nach dem Abschluss die Welt offensteht. Das tut sie prinzipiell auch – aber eben nicht überall, zu jeder Zeit und zu allen Konditionen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2015)

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