„Es dauert, die fremde Uni-Welt zu kapieren“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Abschiedsfeier im Heimatort oder fixer wöchentlicher Anruf bei den Eltern: Übergangsriten helfen beim Wechsel an die Uni, erklärt der Ethnologe Christoph Antweiler.

Ethnologen wie Sie sprechen in der Phase zwischen Schule und Studium von Übergangsriten. Was passiert denn da?

Christoph Antweiler: Mit dem Beginn des Studiums ändert sich sehr viel: Man kommt an einen neuen Ort mit neuen Leuten, meist muss man umziehen. Dann ist man an einer neuen Institution, an der man zum Teil die Sprache gar nicht versteht: Was ist ein Seminar, was ist ein Handapparat? Die angesprochenen Übergangsrituale hängen nun damit zusammen, dass man in einer Lebensphase einen Übergang hat, der an eine Mitgliedschaft in einer neuen Gruppe, Kooperation oder Kategorie gekoppelt ist.

Wozu brauchen wir diese Riten?

Wenn man von einer Phase des Lebens in die nächste übergeht – die Klassiker sind Geburt, Tod, Heirat, aber auch Wohnungswechsel oder neue Arbeitsstellen gehören dazu –, ist ein Gleichgewicht gestört. Das gilt für den einzelnen Menschen, aber auch für die Gesellschaft. Hier müssen die Gefahren gebannt und die Ängste gemindert werden. Die Übergangsriten sollen helfen, wenn kritische Lebensereignisse eintreten und sie sollen soziale Bindungen stärken. Da das meist halb öffentlich oder öffentlich geschieht, werden durch die jeweiligen Riten auch grundsätzliche Werte der Gesellschaft deutlich gemacht, zum Beispiel Gerechtigkeit oder Fleiß oder Wissen.

Welche Gefahren will man denn bannen?

Als Gefahr wird gesehen, dass man bei solchen Übergängen in einem Zwischenstadium ist, in dem man nicht mehr die alte Rolle – etwa die des Schülers – innehat, aber auch noch nicht wirklich die neue Rolle erfüllt. Man ist in einem Zwischenstadium und das führt zu Identitätsverlusten oder Unsicherheiten. Die Auffassung der Ethnologie ist, dass diese Unsicherheit nicht nur für die jeweilige Person besteht, sondern auch für die jeweilige Gesellschaft.

Wie lang brauchen Studenten, um den Übergang zu meistern?

Meiner Erfahrung nach brauchen Studenten im Schnitt ein Semester, um überhaupt die fremde Welt der Uni zu kapieren. Es gibt verschiedene unterstützende Rituale, zum Beispiel das Feiern des Abschieds im Heimatdorf oder den Einzug in eine Wohngemeinschaft, der oft mit den Eltern durchgeführt wird. Ich habe sogar öfter miterlebt, dass Studierende gemeinsam mit ihren Eltern in eine Sprechstunde kommen, um sich vorzustellen. Es gibt auch kleinere Rituale: Eltern füllen den Kühlschrank in den ersten Wochen. Oder es wird vereinbart, einmal am Tag anzurufen.

Sie sprechen viel von Eltern: Nimmt die Elternbeteiligung am Studium zu?

Ja, meines Erachtens wird das deutlich stärker. Generell tun auch immer mehr Unis immer mehr, um den Schwellenübergang zu erleichtern. Im deutschsprachigen Raum erst seit kurzer Zeit, in den USA schon länger: mit Ritualen und Zeremonien. Die Begrüßung der neuen Studierenden findet immer größere Bedeutung an den Unis.

Ist der Sprung zwischen Schule und Uni eigentlich tatsächlich noch so groß?

Immerhin hat sich bezüglich Mobilität, Kommunikation und Vorbereitung auf die Uni viel getan. Der Durchschnitt erlebt die Universität doch als eine andere Welt. Wenn später der Übergang zum Beruf kommt, ist der Einschnitt oft nicht so groß, hier gibt es ja auch Übergänge durch Praktika und Jobs, damit erfolgt der Wechsel nicht mehr so plötzlich.

Was wird denn positiver gesehen, der Studienanfang oder das Studienende?

Das ist sehr individuell und ändert sich auch über die Zeit. In Zeiten der Rezession wird der Berufseinstieg wohl eher als traurig oder verunsichernd empfunden, als wenn die Wirtschaft floriert – oder das Fachgebiet, in dem man tätig wird.

Werden Übergänge in anderen Gesellschaften prinzipiell ähnlich begangen?

Auf den ersten Blick fallen nur die Unterschiede auf, weil diese Zeremonien so vielfältig und die einzelnen Symbole so unterschiedlich sind. Aber es wird immer stark mit Symbolen gearbeitet und Kleidung, spezielles Essen und spezielle Sprachen spielen immer eine große Rolle. Ethnologen haben auch bis ins Detail Ähnlichkeiten gefunden.

Christoph Antweiler (59) ist Ethnologieprofessor in Bonn. Wenn man von der Schule auf die Uni wechselt, kommt man in eine neue Welt, sagt er. Hier lauern auch Gefahren.

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