Zocken wird Studenten nicht angerechnet

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Zig Millionen Menschen tauchen in ihrer Freizeit gern in virtuelle Welten ein, zu den Spielern zählen auch viele Studenten. Für manche wird das Hobby zur Sucht.

Ein Jahr lang „World of Warcraft“ spielen statt zu studieren. Spät aufstehen, PC einschalten, spielen, währenddessen vielleicht etwas essen und spät in der Nacht wieder ins Bett fallen, obwohl man eigentlich noch weiterspielen will. Liegen, sitzen, liegen. Das war für Martin in seiner Studentenzeit Realität. Die riesige Welt des Onlinerollenspiels war einladender für ihn, als für die Uni zu lernen. Seine Eltern hatten sich das von ihnen finanzierte Auslandsstudium etwas anders vorgestellt. Er vermutlich auch.

Martin, der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist kein Einzelfall. „Ich kenne einige solche Menschen“, sagt Gerald (29), der sich selbst gern in der Spielszene bewegt. Der Mathematikstudent hat im Gegensatz zu anderen Spielefans keine Sucht entwickelt. Doch auch er gibt zu, dass ihn sein Hobby „sicher das eine oder andere Semester gekostet“ hat. An „World of Warcraft“ hat er zwar kein Interesse, doch kurzweiligere Spiele wie die „Diablo“-Reihe oder das Strategie-Game „Civilisation“ faszinieren ihn.

Zig Millionen Menschen weltweit tauchen in ihrer Freizeit gern in virtuelle Welten ein. Im Fall von „World of Warcraft“ sind es im Vorjahr 5,5 Millionen gewesen. Das Action-Multiplayer-Spiel „Diablo 3“ verzeichnete an einem Rekordtag 5,8 Millionen Spieler gleichzeitig. Und das kürzlich veröffentlichte Smartphone-Game „Pokemon Go“, bei dem dank Augmented Reality virtuelle und echte Welt verschmelzen, wird Analysten zufolge von mehr als 30 Millionen Menschen weltweit genutzt.

Das Spiel belohnt. All diese Titel richten sich vornehmlich an jüngere Spieler. Und nicht alle gelegentlichen Spieler im Schul- oder Studentenalter können dem Suchtfaktor der Games widerstehen. Das liegt unter anderem an den Belohnungsmechanismen der Spiele. „Beim Lernen ist kein sofort messbares Ergebnis spürbar, im Spiel schon“, sagt Oliver Scheibenbogen, Leiter des klinisch-psychologischen Bereichs am Wiener Anton-Proksch-Institut, der sich mit dem Thema beschäftigt.

Je jünger Spieler sind, desto gefährdeter sind sie. Oft liegen einem pathologischen Medienverhalten psychische Erkrankungen oder soziale Ängste zugrunde. Die Spiele wirken dann wie ein Medikament. Gefährdet sieht der Psychologe auch junge Menschen ohne ausgeprägtes soziales Gefüge. Diesen falle es schwer, „aus der virtuellen Spielewelt wieder herauszufinden“. Als Ersatz wird die Online-Community aufgebaut, mit einer großen Gefahr: Wenn man nicht mit seinen Freunden aus der Gilde oder dem Clan (wie Vereinigungen von Spielern genannt werden) mithalten kann, verliert man den Anschluss. „Die Anerkennung in der Gruppe sinkt“, sagt Scheibenbogen. Das Suchtpotenzial steigt.

Die Warnhinweise. Eine Online-Game-Sucht ist für Eltern meist schwer nachzuvollziehen – auch weil sie mit der Spielwelt oft nur wenig anfangen können. „Man muss zwar nicht jedes Detail von ‚World of Warcraft‘ kennen, aber prinzipiell wäre es gut zu wissen, wie das Spiel funktioniert“, sagt Scheibenbogen. Als Vater einer Tochter im Mittelschulalter beschäftigt er sich auch aus Eigeninteresse damit.

Generell werde eine gut ausgebildete Medienkompetenz immer wichtiger. Studenten sollten ihr Spielverhalten reflektieren. Doch ab wann ist das Spielen zu viel? „Sucht kann man leider nicht in absolute Zahlen gießen“, sagt Scheibenbogen. Es gebe aber Warnhinweise. Etwa psychische Entzugserscheinungen, wenn man ohne das Spiel schlecht gelaunt oder leicht gereizt ist. Oder wenn sich ein Kontrollverlust einstellt: Man sagt sich: „Nur noch 20 Minuten, dann gehe ich in die Vorlesung“, dann werden vier Stunden daraus.

Gerald hat diese Kontrolle trotz der Spielbegeisterung nie ganz verloren. Martin hat sie wieder zurückerobert: Er konnte sein Studium erfolgreich beenden.

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