70 Jahre Protest

Vor sieben Jahrzehnten wählten die Studenten erstmals ihre Vertreter. Von Würstelstand über Studiengebühren bis zum Uni-Budget: Wofür und wogegen die Studenten gekämpft haben.

Ein besserer Würstelstand als Ersatz für die fehlende Mensa, eine Krankenversicherung um fünf Schilling, weil kaum ein Student versichert war: Das war es, was die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) unter anderem in der Nachkriegszeit beschäftigte. In diesem Herbst feiert die Hochschülerschaft ihr 70-Jahr-Jubiläum. Auch wenn ihre Geschichte eigentlich schon vor 71 Jahren beginnt. Vier Tage nachdem die provisorische Regierung von Karl Renner (SPÖ) anerkannt wird, sieben Tage bevor die deutsche Wehrmacht endgültig kapituliert, schließen sich Studenten an der Uni Wien zum sogenannten Sechserausschuss zusammen. Dieser übernimmt die Leitung der studentischen Selbstverwaltung, zunächst nur provisorisch.

Wenige Monate später, im September 1945, wird per Gesetz die ÖH geschaffen. Zur ersten ÖH-Wahl am 19. November 1946 gehen 82 Prozent der Studenten. Die konservative Österreichische Studentenunion aus der später die ÖVP-nahe Aktionsgemeinschaft hervorgehen sollte gewinnt haushoch die erste Wahl und dominiert die ersten Jahre der ÖH. Wichtigste Aktivität damals: der Kampf gegen die Studiengebühren. Dass diese empfindlich erhöht werden sollten, führte 1952 zur ersten großen Studentendemonstration: "Wir sind rebellisch geworden und haben einen Sitzstreik am Ring organisiert", schildert der damalige ÖH-Chef, Günther Wiesinger, in der Festschrift "60 Jahre ÖH".

Uni-Ferkelei und Borodajkewycz. Darin wurzelte schon die revolutionäre Stimmung der 1960er-Jahre, in denen der Geist des Umbruchs sogar die Professoren ansteckte. 1961 erstritten Studenten mit einer Woche Hochschulstreik eine Budgeterhöhung. In diese Zeit fällt auch einer der größten politischen Skandale: der Fall des Professors Taras Borodajkewycz, dessen antisemitische Äußerungen der nunmehrige Ex-Präsident Heinz Fischer mithilfe der Uni-Mitschriften seines Freundes Ferdinand Lacina aufdeckte. Im legendären Frühjahr 1968 wurden Hörsäle besetzt. Als Höhepunkt ging die sogenannte Uni-Ferkelei in die Geschichte ein, bei der Aktionisten um Otto Mühl an der Uni Wien allerhand Tabus brachen von Masturbation bis zum Verrichten der Notdurft.

Alle fahren nach Hainburg. Der EU-Abgeordnete Othmar Karas (ÖVP) engagierte sich ab Ende der 1970er-Jahre bei der ÖH. "Für mich war das ein Ort des Gedankenaustauschs, der Begegnung, Planung und Umsetzung von politischen Projekten", erzählt er. Etwa bei den Protesten gegen das Wasserkraftwerk in der Hainburger Au einer Aktion, die quer durch alle Fraktionen Anhänger fand. Die ÖH besorgte Zelte, Schlafsäcke und den Transport. Die Besetzung brachte eine Umweltbewegung ins Rollen. Und zwei Jahre später schafften es die Grünen in den Nationalrat.

1996 das nächste Novum: Mit Agnes Berlakovich (VSStÖ) wurde erstmals eine Frau und Angehörige einer nicht konservativen Fraktion zur ÖH-Chefin gewählt. "Wir waren jung, wir waren kämpferisch, wir hatten keinen Respekt vor den Autoritäten", sagt sie rückblickend. Kaum war sie im Amt, schnürte die Regierung unter Franz Vranitzky (SPÖ) ein saftiges Sparpaket für den Hochschulbereich.

Der heutige Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP), damals ÖH-Chef an der Wirtschafts-Uni, erzählt von geplanten "brutalen Kürzungen". Was 1996 zu Protesten inklusive einer Besetzung des Audimax führt und letztlich zu einem Kompromiss. "Im Audimax ist die Luft von Zigarettenqualm erfüllt, man trinkt Uni-Bräu, das auf dem Gang ausgeschenkt wird, man liest Flugblätter von Trotzkisten", schrieb "Die Presse" damals darüber. "Jeden Tag um 18 Uhr beginnt das Audimax-Plenum."

Andere Rolle im Audimax. Die nächste Besetzung des Audimax 13 Jahre danach, im Herbst 2009, sieht auf den ersten Blick ähnlich aus. Und ist doch anders: Denn war in den 1990ern die ÖH das offizielle Sprachrohr, schwimmt die Hochschülerschaft bei der betont basisdemokratischen "Unibrennt"-Bewegung vor inzwischen sieben Jahren eher auf der Protestwelle mit. Und tut sich seitdem schwer, ihre Studierenden zu größeren Protesten zu motivieren. Auch nicht zum Wählen übrigens: Zuletzt gingen nur 26 Prozent zur Wahl.

Für manche war die Hochschülerschaft ein Sprungbrett in die Politik.

Ex-Bundespräsident Heinz Fischer, der an der Uni Wien Jus studierte, war Mandatar des roten VSStÖ.

Die grüne Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou war ab 1995 Generalsekretärin des ÖH-Zentralausschusses.

Sigrid Maurer war von 2009 bis 2011 grüne ÖH-Chefin und ist jetzt grüne Wissenschaftssprecherin.

Neos-Chef Matthias Strolz war bei der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft und ab 1996 ÖH-Chef an der Uni Innsbruck.

Der Wiener Langzeitbürgermeister Michael Häupl (SPÖ) war von 1975 bis 1977 Chef des VSStÖ.

Staatssekretär
Harald Mahrer (ÖVP) war von 1995 bis 1997 für die Aktionsgemeinschaft ÖH-Chef an der WU.

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