"Frauen hatten immer schon das Potenzial"

Mittlerweile haben sie die Männer in der Bildung überholt.
Mittlerweile haben sie die Männer in der Bildung überholt.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Dass Frauen bald 60 Prozent der Studenten stellen, ist für den Soziologen Hans-Peter Blossfeld im Gespräch mit DiePresse.com "so sicher wie das Amen in der Kirche". Die Arbeitsteilung habe sich aber eher noch verstärkt.

DiePresse.com: Sie leiteten mehrere Jahre das Nationale Bildungspanel in Deutschland. Ist es tatsächlich die größte sozialwissenschaftliche Studie der Welt?

Hans-Peter Blossfeld: Ja, es wird wohl die größte sozialwissenschaftliche Studie sein. Die teuerste auf alle Fälle: Es sind 60.000 Befragte und 40.000 Kontextpersonen, also Befragte um die Befragten herum. Diese 100.000 Personen werden im Längsschnitt befragt und getestet.

Beim Bildungspanel werden typische Lebensläufe nachverfolgt. Aber nur die von Männern wurden bisher analysiert. Warum?

Frauen sind komplizierter zu untersuchen. Bei Frauen gibt es häufig Karriereunterbrechungen und Teilzeitarbeit. Die Frage für uns  war, wie man am raschesten erste Ergebnisse bekommt. Damit waren keine inhaltlichen Entscheidungen verbunden.

Gerade die Frauen sind aber sehr interessant. In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Akademikerquote in Österreich verdreifacht. Und das ist vor allem auf die Frauen zurückzuführen.

Das ist in Deutschland und vielen anderen Ländern auch so. Die Frauen haben die Männer bei den schulischen Bildungsabschlüssen, beim Abitur und auch langsam bei den Studienabschlüssen überholt.

Was zieht die Frauen an die Universitäten?

Warum sich die Frauen so hoch bilden? Das möchte ich auch gerne wissen. Fakt ist: In den 1960ern haben die Frauen angefangen, mächtig aufzuholen. Mittlerweile haben sie die Männer in der Bildung überholt. Frauen hatten wahrscheinlich immer schon das Potenzial, besser durch die Schule durchzukommen, die Familien haben das aber nicht genutzt, weil es für Frauen andere Lebenspläne gab. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten massiv geändert, weil Ausbildung und Beruf im Lebenslauf für Frauen an Bedeutung gewonnen haben. Das ist das Eine. Zum anderen sind Frauen in der Schule auch besser (z. B. in den Sprachen) bzw. werden teils auch besser bewertet als Männer, weil sie sich an die Schulstrukturen mit ihrem Verhalten besser anpassen. Sie sind die angenehmeren Schüler.

Hans-Peter Blossfeld hat den Lehrstuhl für Soziologie an der Uni Bamberg inne.
Hans-Peter Blossfeld hat den Lehrstuhl für Soziologie an der Uni Bamberg inne.(c) Universität Bamberg

Zur Person



Der deutsche Soziologe Hans-Peter Blossfeld hat eine bewegte akademische Karriere: Er war wissenschaftlicher Leiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, hatte einen Lehrstuhl für Statistik und Methoden der empirischen Sozialforschung an der Uni Bremen inne, außerdem einen Lehrstuhl in Bielefeld und Bamberg. 2008-2012 war er Wissenschaftlicher Leiter des Nationalen Bildungspanels, der größten sozialwissenschaftlichen Studie der Welt. Derzeit ist er Chair of Sociology am European University Institute in Florenz.

Sind jetzt die neuen Sorgenkinder der Gesellschaft die Burschen?

Ja, das scheint das neue Problem zu sein. Die Sorgenkinder sind aber vor allem die Ungelernten, seien es Mädchen oder Buben. Man braucht heute nicht mehr so viele ungelernte Arbeitskräfte. Hier hat sich die Situation seit den 1960ern deutlich geändert. Im Vergleich zu damals  ist die Zahl derer, die keinerlei Ausbildung haben, heute Gott sei Dank nicht mehr so groß. Aber das sind heute die wirklichen Sorgenkinder, weil sie in der Regel in ihrem Leben mit mit hoher Arbeitslosigkeit und Sozialhilfeabhängigkeit konfrontiert werden.

Werden Buben in der Schule strukturell benachteiligt?

Insofern, als Knaben oder junge Männer von ihrer sozialen Rolle her weniger in das Muster des guten Schülers passen. Die machen im Unterricht eher Probleme, das schlägt sich bei den Lehrern auch in schlechteren Noten nieder.

Brauchen Männer die höhere Ausbildung weniger als Frauen?

Es ist sowohl für Männer als auch für Frauen wichtig, eine gute Ausbildung zu haben. Je besser, desto erfolgreicher, desto höher die Einkommen und das Prestige. In Österreich und in Deutschland, aber auch in Schweden oder in Dänemark sind die Frauen noch immer stark für die Familie zuständig. Deshalb sind sie zwischen zwei Rollen hin- und hergerissen, das bringt in ihnen in der Familienphase in den Karrieren den Rückschlag. Die Männer ziehen dann an ihnen vorbei.

Es scheint, als ob den Frauen der Bildungsstatus wichtiger wäre als den Männern.

Ja, beim Partner (lacht). Da ist der Bildungsstatus den Frauen wichtiger als den Männern. Vor ein paar Jahrzehnten schieden Frauen mit der Ehe ganz oder teilweise aus der Erwerbstätigkeit aus. Für sie war ihre Bildung also nicht so wichtig. Wichtig war umgekehrt, jemanden zu finden, der ein hohes Bildungsniveau hatte, weil das mit einem hohen Familieneinkommen einhergeht. Das bedeutet Sicherheit. Gleichzeitig war es für die Männer wichtig, dass sie Partnerinnen hatten, mit der sie sich unterhalten konnten. Aber welches Bildungslevel die Partnerinnen hatten, war für die Männer weniger wichtig. Das ist auch heute noch so, wenn man sich Internetstudien (zur Partnersuche, Anm.) ansieht.

Das Überraschende ist heute, dass die Frauen die Männer bei der Bildung überholt haben und eigentlich mehr den Karriereweg einschlagen könnten, aber dies dann doch nicht oder nur zum Teil tun. Und Frauen haben Schwierigkeiten, jemanden als Partner zu akzeptieren, der ausbildungsmäßig unter ihrem Niveau ist. Viele (qualifizierte) Frauen bleiben deswegen lieber Single.

Wird die Zahl der Studentinnen im Vergleich zu den Studenten weiter steigen?

Ja, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Ich denke, das wird in den nächsten zehn bis 15 Jahren noch auf 60 Prozent Frauen, 40 Prozent Männer oder auf 65 zu 35 Prozent steigen.

Welche Konsequenzen wird das haben?

Massive Konsequenzen. Bei den Partnerschaften werden entweder sehr viele Frauen "übrig bleiben", oder es wird sich etwas ändern müssen bei der Partnerwahl. Und in der Arbeitswelt gibt es nach wie vor große Unterschiede zwischen den Lebensentwürfen. Die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen ist noch immer massiv, das hat sich durch die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt sogar eher noch verstärkt. Die Geschlechter wählen nicht nur unterschiedliche berufliche Ausbildungen und Studiengänge, sie gehen auch in unterschiedliche Berufe, haben unterschiedliche Karriere- und Einkommenschancen. Das hat sich durch das Angleichen und Überholen bei den Bildungsabschlüssen nicht verändert.

Stichwort Bildungsgerechtigkeit: Bildung wird sehr stark vererbt. Warum?

Es gibt eine interessante Studie von zwei Sozialpsychologen mit den Namen Kahneman und Tversky. Die haben in Experimenten gezeigt, dass der Verlust von 100 Euro viel schmerzhafter ist als ein zusätzliche Gewinn von 100 Euro an Nutzen bringt.  Übertragen auf die Bildung heißt das, dass Familien alle Ressourcen einsetzen werden, um einen Verlust beim Bildungsniveau über die Generationen hinweg zu vermeiden. Diesen Zusammenhang muss man bei Bildungsreformen immer im Blick haben. Wenn man zum Beispiel von heute auf morgen das Gymnasium, auf das das Bildungsbürgertum großen Wert legt, abschaffen würde, würde das wahrscheinlich dazu führen, dass diese Eltern aus der Mittelschicht andere Wege finden und z. B. ihre Kinder auf Privatschulen oder ins Ausland schicken. Die einzelnen Familien wollen dabei jeweils das Beste für ihre Kinder. Sie tun dies aber von unterschiedlichen Ausgangspositionen in der Ungleichheitspyramide. Familien wollen ihren Status intergenerational  behalten.

Die Gesamtschule hat damit keine guten Karten.

Ja, unter bestimmten Umständen schon. Die oberen sozialen Schichten reagieren auf Bildungsreformen. Die Familien sind nicht passiv, sie entwickeln Strategien, um ihren Status zu halten. Auch, wenn man das Bildungssystem öffnet, damit mehr Kinder aus unteren sozialen Schichten an die Hochschulen könnten, profitieren davon in der Regel eher die höheren sozialen Schichten. Sie ergreifen diese Chancen eher. Dass die Kinder eines Rechtsanwalts einen Arbeiterberuf ergreifen, ist für diese Familien einfach undenkbar.

Das heißt, die politischen Bemühungen um mehr Bildungsgerechtigkeit sind völlig umsonst?

Ich würde nicht sagen umsonst, aber hier sind dicke Bretter zu bohren. Es geht wahrscheinlich alles sehr viel langsamer als viele Bildungsreformer erwarten.

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