Bildungsstudien: "Faymann wollte keine Brösel"

Martin Netzer und Günter Haider
Martin Netzer und Günter HaiderDie Presse
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Günter Haider, Ex-Chef des Bildungsinstituts BIFIE, erzählt von einem Verbot, Studien im Wahljahr zu veröffentlichen, und nennt Nachfolger Martin Netzer indirekt einen Apparatschik. Netzer selbst schätzt die Nähe zur Politik.

Den Vorwurf, am Gängelband des roten Unterrichtsministeriums zu hängen, muss sich das Bundesinstitut für Bildungsforschung, BIFIE, schon lange gefallen lassen. Zuletzt ließ Günter Haider, ehemaliger Direktor des Instituts, mit der Aussage aufhorchen, dass die Forscher am BIFIE vor dem Ministerium „kuschen“ müssten. Sein Nachfolger, Martin Netzer, wies diese Behauptung stets zurück. „Die Presse“ bat die beiden zum Streitgespräch.

Die Presse: Herr Netzer, legen Sie die Hand dafür ins Feuer, dass Forscher am BIFIE frei von ministeriellem Einfluss arbeiten können?

Martin Netzer: Für die Freiheit der Forschung lege ich sogar beide Hände ins Feuer. Davon muss man die Kommunikation nach außen unterscheiden. Was wir wann wie präsentieren, das ist eine andere Frage.

Es kann also sein, dass das Unterrichtsministerium Publikationen zurückhält?

Netzer: Ich bin ja relativ neu im Geschäft. Ich kann nur sagen, dass es im vergangenen halben Jahr keine einzige Intervention gab.
Günter Haider: Ja, weil es auch keine einzige Publikation gegeben hat. Es gab eben nicht viel zu intervenieren.
Netzer: Es kann schon sein, dass wir wenig Anlassfälle gehabt haben.
Haider: Das BIFIE bekommt die österreichische Krankheit. Man kann hier keine Institution ins Leben rufen, in der nicht früher oder später der parteipolitische Einfluss überhand nimmt. Das BIFIE wurde politisch zur Brust genommen. Auf einmal hieß es: Jetzt sagen wir euch, wie geforscht wird.

Herr Netzer, ist das BIFIE krank?

Netzer: Der Begriff österreichische Krankheit gefällt mir, weil dazu auch die Dünnhäutigkeit der Österreicher gehört. In einem Punkt muss ich widersprechen: Das BIFIE ist nicht zu politiknahe. Eine derartige Institution kann ihre Wirkung nur entfalten, wenn sie in einem engen Reißverschlusssystem mit Politik, öffentlicher Verwaltung und Schulpartnern zusammenarbeitet. Natürlich birgt das die Gefahr der Instrumentalisierung.

Ich erinnere an die Absage der Lehrerstudie TALIS. Die Ministerin wollte so negative Schlagzeilen bei den Dienstrechtsverhandlungen vermeiden.

Netzer: Die Entscheidung wurde vor meiner Zeit getroffen. Die Kosten wären zu hoch gewesen. Persönlich halte ich die Studie übrigens nicht für nötig.
Haider: Man sieht: Herr Netzer und ich haben völlig unterschiedliche Positionen. Ich bin Wissenschaftler, ich war Lehrer, ich kenne das Schulsystem und beforsche es seit 25 Jahren. Herr Netzer ist hingegen im Ministerium groß geworden. Bourdieu nennt das unsanft einen Apparatschik. So würde ich das natürlich nie sagen...
Netzer: Jetzt haben Sie es ja doch gesagt...

Was impliziert das für Sie?

Haider: Die Ministerin hat das selbst am besten ausgedrückt: Herr Netzer ist dazu da, um das BIFIE wieder näher an das Ministerium heranzubringen. Ich habe mich bei der Gründung darauf verlassen, dass das Institut unabhängig ist. Jetzt wird das BIFIE als Unterabteilung des Ministeriums – und das Ministerium als Parteisekretariat – geführt.

Herr Netzer, fühlen Sie sich als Mitarbeiter eines Parteisekretariats?

Netzer: Ich verwahre mich dagegen.

Bei Amtsantritt haben Sie gesagt, dass Sie keinen Widerstand leisten werden.

Netzer: Da ticke ich anders als Herr Haider. Das BIFIE-Gesetz ist nun einmal so konstruiert, dass das Unterrichtsministerium Durchgriffsrechte hat.
Haider: Die Ministerin hat massiv versucht, Einfluss zu nehmen, weit über das BIFIE-Gesetz hinaus. Bis hin zu Aussagen wie: „Diese Tabelle wird nicht publiziert“ und „Im Wahljahr wird das nicht veröffentlicht“.

Aber öffentlich dagegen aufgelehnt haben Sie sich in Ihrer Zeit als BIFIE-Chef nicht.

Haider: Es war nicht meine Aufgabe, die Ministerin öffentlich in Zweifel zu ziehen. Mein Kollege Josef Lucyshyn hat das gemacht– Sie wissen, was aus ihm geworden ist (er wurde als BIFIE-Chef abgesetzt, Anm.).

Ihre verspätete Kritik resultiert also nicht aus der Enttäuschung, dass Ihr Vertrag am BIFIE nicht verlängert wurde?

Haider: Es stimmt, dass ich mich noch einmal beworben habe. Das Problem ist aber ein anderes – ein demokratiepolitisches, da Frau Schmied sich aller kritischen Leute entledigt hat.

Wurde es dem BIFIE verboten, im Wahljahr Studien zu veröffentlichen?

Haider: Es war klar, dass Werner Faymann da keine Brösel haben will. Deshalb mussten wir alles Heikle 2012 präsentieren. Im Dezember 2012 hatten wir eine Pressekonferenz nach der anderen. Da wurden Projekte wie die Bildungsstandards – fünf Jahre wurde daran gearbeitet und fünf Millionen Euro hat es gekostet – in zehn Minuten abgehandelt. Das ist die Denkweise des politischen Systems, nicht die der Wissenschaft.

Herr Netzer, können Sie sich vorstellen, dass das der Grund ist, warum Sie noch keine Studie präsentieren durften?

Netzer: Ich kann mir viel vorstellen. Dass keine Berichte publiziert wurden, stimmt aber nicht. Es gab den Reifeprüfungsbericht.
Haider: Ich rede von heiklen Daten, wie jene zur Neuen Mittelschule. Es war vorgesehen, dass sie evaluiert wird, bevor sie flächendeckend eingeführt wird. 2012 wurde die Einführung ohne die gesetzliche Evaluation beschlossen.
Netzer: Man kann nur evaluieren, was es schon eine Zeit lang gibt. Die Wissenschaft darf nicht ungerecht mit der Politik werden.
Haider: Das ist eine Drohung. Und Herr Netzer, erklären Sie mir nicht das Bildungsforschungshandwerk. Das ist nicht Ihres.

Bringt die NMS schlechte Leistungen?

Haider: Aus dem ersten Jahrgang ist jedenfalls nichts Euphorisches zu entnehmen. Die vorzeitige Einigung war ein Sündenfall.
Netzer: Die NMS ist in einem demokratischen Prozess entstanden. Es steht einer Forschungsinstitution nicht zu, Entscheidungen des Gesetzgebers infrage zu stellen.
Haider: Das ist eine sehr eigenartige demokratische Einstellung.
Netzer: Ist es nicht. Wenn etwas vom Gesetzgeber beschlossen ist, denke ich keine fünf Minuten darüber nach. Dann ist das so. Mich erinnert Ihr Wissenschaftsbild hingegen an Platons „Der Staat". Platon war überzeugt, dass Demokratie nur zu suboptimalen Ergebnissen kommt und wollte einen Philosophenstaat - weil die wissen, wie es geht. Ich glaube an demokratische Prinzipien. Und bei allem Respekt: Die Wissenschaft ist lediglich ein Element der Demokratie und kein Substitut.

ZU DEN PERSONEN

Günter Haider (61) war von der Gründung des BIFIE im Jahr 2008 bis März 2013 dessen Direktor. Haider galt – im Gegensatz zu Josef Lucyshyn, mit dem er das Institut leitete – stets als wenig kritisch gegenüber Unterrichtsministerin Schmied. Dennoch wurde sein Vertrag nicht verlängert. Haider wurde immer wieder als SPÖ-Unterrichtsminister gehandelt.
Martin Netzer (49) leitet das BIFIE derzeit gemeinsam mit Christian Wiesner. Die Funktionsperiode der beiden läuft bis März 2018. Netzer war elf Jahre lang im Unterrichtsministerium tätig und unter anderem Büroleiter von Elisabeth Gehrer (ÖVP).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2013)

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