Künftige Deutschlehrer können Literatur abwählen

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Autoren sorgen sich um den Stellenwert von Literatur. Diese ist für Lehramtsstudenten im Master an der Uni Wien nicht Pflicht.

Wien. Deutschlehrer, die keine Ahnung von Literatur haben, sind ein Schreckensbild. Eines, vor dem die Schriftsteller-Vereinigung IG Autorinnen und Autoren am Mittwoch besonders warnte: Die Universität Wien sei drauf und dran, im neuen Deutschlehramt auf verpflichtende Literatur zu verzichten, beklagte Sprecher Gerhard Ruiss. Für ihn ist das „völlig inakzeptabel“.

Tatsächlich können Lehramtsstudenten an der Uni Wien künftig im Masterstudium die Literatur abwählen. Der Leiter des Zentrums für LehrerInnenbildung, Lutz-Helmut Schön, verteidigt das: In den letzten vier Semestern des Studiums sollen sich die angehenden Lehrerinnen und Lehrer in einem Bereich vertiefen – das könne, müsse aber nicht Literatur sein.

Das bedeute aber längst nicht, dass die Uni Wien komplett auf Literatur als Pflichtfach verzichte: Im achtsemestrigen Bachelorstudium, das dem Master vorausgeht, bilden die ältere und die neuere Literatur einen großen Teil: „Literatur macht deutlich mehr als ein Drittel, wenn nicht die Hälfte aus“, sagt Schön im Gespräch mit der „Presse“. Und dadurch, dass im Bachelorstudium auch die Literaturdidaktik eine große Rolle spiele, seien die künftigen Lehrer „hervorragend vorbereitet“.

Wenig Literatur bei Matura

Das Bachelorstudium für das Lehramt Deutsch ist an der Universität Wien – der größten Lehrerbildungsinstitution des Landes – bereits im Herbst angelaufen. Das Masterstudium soll mit Beginn des kommenden Wintersemesters starten. Bis zum Sommer soll das Curriculum beschlossen werden. Dass es wegen des Anteils an Literatur noch größere Änderungen geben wird, glaubt Schön nicht.

Dabei sind die Autoren mit ihren Sorgen nicht allein: Auch an der Uni selbst gibt es Kritik. Am Institut für Germanistik ist man „in großer Sorge“, was die Bedeutung der Literatur im Lehramtsstudium für Deutsch angeht. Offiziell will man sich dort dazu aber nicht näher äußern.

Es ist nicht das erste Mal, dass über den Stellenwert der Literatur diskutiert wird. In den vergangenen Monaten gab es immer wieder die Klage, dass die Literatur in den allgemeinbildenden Schulen einen Bedeutungsverlust erleide – vor allem auch im Zusammenhang mit der Zentralmatura: Denn die neue Reifeprüfung, die heuer erstmals für alle Maturanten an Gymnasien verpflichtend ist, ist kompetenzorientiert und lässt der Beschäftigung mit Literatur relativ wenig Raum.

Nur noch eine von sechs Maturaufgaben in Deutsch kommt aus dem Bereich Literatur, und bei dieser Aufgabe ist kein literaturgeschichtliches Wissen notwendig. Experten am Bundesinstitut für Bildungsforschung (BIFIE) prüfen nun, ob das Auswirkungen auf den Literaturunterricht hat – also ob die Lehrer diesen Bereich in der Folge teilweise aufgeben.

Sollte das tatsächlich der Fall sein und künftige Deutschlehrer schon in ihrer Schulzeit mit weniger Goethe, Kleist und Bernhard in Berührung kommen, stellt sich die Frage, wie viel Raum sie der Literatur im Master widmen wollen.

An der Uni Wien gibt es im Masterstudium ein neues Fach, das von den angehenden Lehrern verpflichtend gewählt werden muss: Deutsch als Zweitsprache. Angesichts der steigenden Anzahl an Schülern mit anderen Muttersprachen als Deutsch, gebe es dafür sehr gute Argumente, sagt Lehrerbildner Schön. Jüngsten Zahlen zufolge hat inzwischen jeder fünfte Schüler eine andere Umgangssprache als Deutsch.

Pädagogen überfordert

Und tatsächlich sind viele Pädagogen überfordert, wenn es um Kinder mit anderer Muttersprache geht. Acht von zehn Lehrern fühlen sich laut einer steirischen Studie durch ihre Ausbildung unzureichend auf den Umgang mit diesen Kindern vorbereitet.

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