"Bildungshysterie" produziert arbeitslose Akademiker

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Titel selber sorge nicht für Arbeitsmarktgerechtigkeit, die Arbeitslosigkeit verlagere sich nur, warnt der deutsche Bildungsphilosoph Matthias Burchardt.

Höhere Bildung garantiert weniger Arbeitslosigkeit und mehr Gehalt - solche Aussagen gehören für Bildungsphilosoph Matthias Burchardt zum "Mythos Akademisierung". Die aktuelle "Bildungshysterie" produziere vielmehr arbeitslose Akademiker und bedrohe das Erfolgsmodell duale Ausbildung, warnt er.

Bildung müsse derzeit im politischen Diskurs als Universallösung herhalten, kritisiert der Forscher der Universität Köln. Um das Handwerk aufzuwerten, müsse man aber nicht alle Handwerker zum Bachelor oder Master ausbilden, sondern - im Falle Deutschlands - bei der Besteuerung ansetzen. Auch sozialpolitische Probleme seien nicht durch eine höhere Akademikerquote zu lösen. "Der Titel selber sorgt nicht für Arbeitsmarktgerechtigkeit, die Arbeitslosigkeit verlagert sich nur." Am Samstag war Burchardt bei der Tagung "Studieren um jeden Preis?" in Wien zu Gast.

Mehr Konkurrenz und prekäre Beschäftigung

Durch inflationäre Vergabe akademischer Titel schaffe man bloß mehr Konkurrenz und prekäre Beschäftigung. Auch mehr Einkommen bedeute ein Hochschulabschluss in Ländern wie Österreich und Deutschland mit einem starken dualen Ausbildungssystem nicht unbedingt, ein Maurer verdiene mitunter sogar mehr als Geistes- und Sozialwissenschafter.

Der "Mythos Akademisierung", der von Institutionen wie der OECD befeuert werde, habe soziale Selektion mit dem Bildungsabschluss verknüpft. Hauptschulabsolventen werde vermittelt, die Gesellschaft könne sie nicht brauchen. Gleichzeitig sei dadurch diese Schulform, die vor ein paar Jahrzehnten noch ein Garant für einen Posten gewesen sei, entwertet worden. "Im Zuge der Akademisierung wurde plötzlich die Matura im politischen Diskurs für unbedingt notwendig erklärt. Später hieß es dann, dass auch die Matura nichts mehr wert ist."

Uni wird verschult und trivialisiert

Die Uni müsse zwar "jedem, der geeignet und geneigt ist, offenstehen". Wenn der Studienabschluss zur neuen Norm erkoren werde, würden allerdings nicht nur Menschen zu einem Studium gedrängt, denen vielleicht eine berufspraktische Ausbildung mehr liege. "Die Uni wird gleichzeitig in hohem Maße verschult und trivialisiert. Man kann nicht bei gleichbleibendem Niveau Menschen mitnehmen, die nicht dazu geeignet und geneigt sind", so Burchardt.

Außerdem befürchtet er negative Folgen für jene Berufe, deren Ausbildung akademisiert und professionalisiert werden soll. "Diese Tätigkeiten werden im Rahmen einer Bildungshysterie überakademisiert angegangen. Bestimmte pädagogische Rollen kann man aber auch ohne akademische Ausbildung wahrnehmen", kritisiert er die geplante Aufwertung der Kindergartenpädagogik-Ausbildung. Zusätzliche Aufgaben wie Sprachförderung müssten in der Ausbildung verankert werden, dafür müsste man aber nicht zwingend wissenschaftliche Literatur lesen.

Mehr FH, weniger Uni?

Burchardt plädiert für eine Vielfalt von Ausbildungsgängen, um den verschiedenen beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Daher sei es auch wichtig, dass die berufliche Bildung nicht unter die Räder komme, immerhin werde dieses Modell weltweit kopiert. Dem Plan von Österreichs Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP), einen Teil der Studierenden von den Unis an die eher praxisorientierten Fachhochschulen (FH) umzulenken, kann Burchardt daher prinzipiell etwas abgewinnen - wenn die FH sich auf ihre Stärken in der praktischen Ausbildung besinnen, nachdem sie im Zuge der Bologna-Reform zu mehr Wissenschaftlichkeit gedrängt worden seien.

Generell kritisiert Burchardt Soft-Governance-Methoden von Organisationen wie der OECD, die ohne demokratische Legitimation über Zielvorgaben die Bildungspolitik weltweit beeinflussen. "Es wird als alternativlos dargestellt, diese Ziele umzusetzen, obwohl das auf die nationalen Bildungssysteme ganz verheerende Folgen haben kann."

(APA/Red.)

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