Ausbildung: Wie Lehrer das Lehren lernen

Die Schüler der NMS Aspern nehmen im Hörsaal der WU Platz. Die Wirtschaftspädagogikstudenten unterrichten.
Die Schüler der NMS Aspern nehmen im Hörsaal der WU Platz. Die Wirtschaftspädagogikstudenten unterrichten.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Im Hörsaal der Wirtschaftsuni nahmen zuletzt 13-jährige Schüler Platz. Unterrichtet wurden sie von Wirtschaftspädagogikstudenten. Eine Symbiose nennt das die Erfinderin.

Wien. Es ist kurz vor neun Uhr, und der Hörsaal an der Wirtschaftsuniversität füllt sich. Nach und nach werden die Tische in den Sitzreihen ausgeklappt. „Cool!“, hört man eine Stimme ungewöhnlich euphorisch rufen. Für die meisten Vorlesungsbesucher ist das hier nämlich eine Premiere. Im Hörsaal nehmen gerade nicht wie üblich Studenten der Wirtschaftsuniversität Platz, sondern zwölf- und 13-jährige Schüler.

Einen Vormittag lang dürfen die Drittklässler der Neuen Mittelschule Aspern Studenten sein. Die Studierenden selbst schlüpfen in die Rolle der Lehrenden. Es ist der erstmalige Versuch, Wirtschaftspädagogikstudenten, die vermutlich selbst einmal in Schulen unterrichten werden, Praxiserfahrung innerhalb einer Lehrveranstaltung sammeln zu lassen. Sonst kommt die Praxis meist zu kurz. In Schulen kommen die Studenten nur selten: zwei bis drei Wochen Beobachtung und eine eigene gehaltene Stunde – mehr ist es meist nicht. Deshalb hat sich Wirtschaftspädagogik-Leiterin Bettina Fuhrmann dazu entschieden, den Prozess umzukehren und die Schüler an die Universität zu holen. So lernen die Studenten das Lehren. Und die Schüler dürfen Uni-Luft schnuppern.

Applaus und Süßigkeiten

Die Musik der Millionenshow hallt durch den Hörsaal. Auf die Tafel wird die nächste Frage mit den vier Antwortmöglichkeiten projiziert. „Welche Art von Handel gab es in der Steinzeit?“ ist zu lesen. „Es ist A: Tauschhandel!“, ruft ein Schüler. Applaus kommt aus den Lautsprechern. Spielerisch versuchen die Studenten, den Schülern die Entstehung des Geldes zu vermitteln. Die Schüler sind auffallend ruhig und interessiert. Ein erster Erfolg für die Studenten. Sie haben lang an der Vorbereitung des Unterrichts gearbeitet. In der Lehrveranstaltung „Wirtschaftsdidaktik II“ haben sie dazu ein mehrseitiges Konzept geschrieben, ihrer Professorin vorgestellt und noch einmal überarbeitet. Heute sehen sie, ob das, was sie in der Theorie gelernt haben, in der Praxis funktioniert. „Und man spürt, ob einem das Unterrichten liegt und das Arbeiten mit den Schülern Spaß macht“, sagen die beiden Studentinnen Theresa Kugler und Lydia Schaupp.

Es folgt eine Gruppenarbeit. Die Studenten gehen mit einer Packung Süßigkeiten durch die Reihen. Jeder Schüler darf sich einen kleinen Schokoladeriegel aus der Celebrationspackung nehmen. „Cool, das machen unsere Lehrer nie!“, ruft ein Schüler. Was sie nicht wissen, ist, dass die Schokolade mehr als eine Belohnung ist. Sie ist ein pädagogischer Trick zur Gruppeneinteilung. „Jetzt gehen bitte die ,Mars‘ in eine Gruppe zusammen, die ,Twix‘ und die ,Dove‘“, sagen die Studenten und sorgen damit bei den Schülern für Verwunderung.

Auf dem Boden liegend gestalten die Schüler nun Plakate. Sie müssen einen Güter- bzw. Geldstrom skizzieren. Wie das funktioniert, haben sie zuerst am Beispiel des kleinen Mädchens mit dem Namen Sarah gelernt. „Sarah und ihre Mama sind gemeinsam ein Haushalt“, erklärten die Studenten. „Sarahs Mama kauft die Playstation, die sich Sarah wünscht, bei Saturn, das ist ein Unternehmen.“

Nach und nach wurden so wirtschaftliche Begriffe von Haushalt über Bank bis Zinsen erklärt. „Es ist schwierig einzuschätzen, wie viel Vorwissen die Schüler mitbringen“, sagen Kugler und Schaupp. Die Erklärungen dürften die Schüler aber verstanden haben, denn schon nach wenigen Minuten haben sie Geld- bzw. Güterstrom auf ihren Plakaten nachgezeichnet.

Neugierde auf Uni ist geweckt

Der Vormittag ist für die Schüler viel mehr als der erste Wirtschaftsunterricht. „Es geht auch darum, dass sie ihre Stärken und Interessen kennenlernen“, sagt Direktorin Doris Pfingstner. Das würde den Schülern dann auch bei der Entscheidung, die an der NMS Aspern bald ansteht, helfen. Denn in der vierten Klasse können sie dort ein Spezialisierungsmodul wählen – und Wirtschaft ist eines davon. Für viele Schüler, die oft aus bildungsfernen Familien kommen, ist es außerdem das erste Kennenlernen einer Uni. Die Neugierde darauf ist geweckt: „Wie lang studiert man hier?“ und „Ist es schwer?“, wollen die Schüler wissen.

„Das Projekt ist eine Symbiose, von der beide Seiten profitieren“, sagt Fuhrmann. Sie muss die Lehrauftritte ihrer Studenten nun noch beurteilen. Die Schüler haben das am Ende des Vormittags bereits getan: „Es war voll toll“ steht da etwa auf den Feedbackzetteln. Und: „Das Beste war, dass wir nicht in der Schule waren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2016)

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