Wissenschaftler: „Schau her, wie klug ich bin“

Der Elfenbeinturm wurde durch eine Einbahnstraße abgelöst.
Der Elfenbeinturm wurde durch eine Einbahnstraße abgelöst.(c) Xue Yubin Xinhua/Eyevine/picturedesk.com
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Wissenschaftler hören selten zu, sagt der langjährige „Science“-Herausgeber Alan I. Leshner. Und sie behandeln die Öffentlichkeit oft nicht mit dem Respekt, den sie verdient.

Die Presse: Eine Frage, die Sie in Ihrem Eröffnungsvortrag beim Forum Alpbach aufwerfen ist, ob die Wissenschaft von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auch genügend gehört wird. Ich nehme an, die Antwort ist Nein.

Alan I. Leshner: Wissenschaftler haben oft das Gefühl, dass die Öffentlichkeit nicht versteht, was sie tun, dass sie anderer Meinung ist, dass sie Swissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert. Und das stimmt auch zum Teil. Allerdings, und das ist ein wichtiger Punkt: Nur Wissenschaftler müssen sich an das halten, was die Wissenschaft sagt.


Was meinen Sie damit?

Das heißt, dass alle anderen die Erkenntnisse ignorieren können, sie können sie verfälschen oder sie missinterpretieren. Und das hat selten dramatische unmittelbare Konsequenzen. Die Einstellungen und das Verhalten der Menschen werden eben auch von ihren Überzeugungen, ihren Werten oder ihrem Glauben bestimmt. Bei heiklen Themen reicht es daher nicht aus zu sagen: Die Wissenschaft sagt dies, die Wissenschaft sagt das. Man muss eine gemeinsame Basis finden.


Ein Beispiel?

In den USA haben viele religiöse Menschen etwas dagegen, dass in der Schule die Evolutionstheorie unterrichtet wird, weil sie im Widerspruch zu ihrem Glauben steht. Sie wollen, dass parallel auch ihr Modell des intelligenten Designs gelehrt wird, was Wissenschaftler natürlich ablehnen. Normalerweise ist die Diskussion hier vorbei. Niemand sagt: „Wenn ihr es in Religion, Sozialkunde oder in irgendeinem anderen Fach unterrichten wollt, ist das okay – solange ihr es nicht Wissenschaft nennt.“ Bisweilen reicht es auch, die Öffentlichkeit einfach besser zu informieren. Zum Beispiel im Fall von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln. Bei diesem Thema wird der wissenschaftliche Konsens häufig missverstanden. Aber auch hier ist zentral zu diskutieren, zu erklären und die Fragen der Menschen zu beantworten.


Das heißt, dass Wissenschaftler sich viel mehr auf Diskussionen einlassen müssen – auch wenn sie wissen oder jedenfalls glauben, dass sie recht haben.

Sie brauchen ein besseres Verständnis davon, wie der Rest der Gesellschaft die Wissenschaft sieht und versteht. Das verlangt nach einem anderen Verhaltensmuster. Danach, dass sie zuhören und die Einwände ernst nehmen. Und ehrlich gesagt ist es ziemlich selten, dass Wissenschaftler wirklich zuhören. Sie wollen, dass die Leute ihnen zuhören. Und behandeln sie dabei nicht mit dem Respekt, den sie verdienen und der nötig ist.

Sieht so aus, als sei das Modell des Elfenbeinturms abgelöst worden durch eine Einbahnstraße.

Tatsächlich ist es viel mehr eine Einbahnstraße, als es sein sollte. Es ist kein Dialog, es ist ein Monolog. Die Tendenz von Wissenschaftlern ist, eine große Vorlesung zu halten. Und danach sagen sie: „Das ist es, was die Wissenschaft sagt, danke.“ Aber unsere Daten zeigen, dass das überhaupt nicht funktioniert.


Wie würde denn eine bessere Interaktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft aussehen?

Was funktioniert, sind kleine Gruppen, Messen oder Wissenschaftscafés. Dass man Menschen ins Labor einlädt. Alles also Zugänge, die sehr arbeitsintensiv und anstrengend sind. Aber der echte Kontakt zwischen den Menschen funktioniert sehr viel besser als das typische „Schau her, wie klug ich bin“.


Dass ich jemanden in mein Labor einlade, bedeutet aber nicht, dass ich ihn ernst nehme.

Deswegen sagen wir auch, dass Wissenschaftskommunikation etwas ist, was man lernen muss. Wir trainieren Forscher in den USA, in Europa ist das auch eine große Bewegung. Es gibt also Veränderung. Und vor allem jüngere Wissenschaftler sind interessiert daran, ihre Erkenntnisse zu teilen.


Eine Generationenfrage?

Es gibt sicher eine Veränderung. Weil die Spannung zwischen Wissenschaft und dem Rest der Gesellschaft gewachsen ist und die Zahl der kontroversiellen Themen zugenommen hat, sehen mehr und mehr junge Forscher die Notwendigkeit, sich mit der Öffentlichkeit zu beschäftigen. Andere finden, das braucht es nicht – aber dann bekommt man auch nicht die Unterstützung der Öffentlichkeit.

Zur Person

Alan I. Leshner stand von 2001 bis 2015 der American Association for the Advancement of Science vor, der größten wissenschaftlichen Gesellschaft der Welt. In dieser Funktion war er Herausgeber des renommierten „Science“-Magazins. Er hält am 24. August den Eröffnungsvortrag der Alpbacher Hochschulgespräche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2016)

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