TU-Rektorin: "Brauchen mehr HTL- und FH-Absolventen als Uni-Absolventen"

Sabine Seidler (links)
Sabine Seidler (links) (c) Katharina Fröschl-Roßboth
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TU-Wien-Rektorin Sabine Seidler über inakzeptable Relationen zwischen Anfängern und Absolventen, das bessere Renommee der FH – und warum sie nicht bei Sozialwissenschaften kürzen würde.

Die Presse: Hat Kanzler Christian Kern (SPÖ, Anm.) Sie schon angerufen?

Sabine Seidler: Nein.

Er war zuletzt nicht glücklich mit den Zugangsbeschränkungen in Informatik und meinte, da müsse man mit der TU reden.

Ja, aber das ist nicht seine Aufgabe. Es war wichtig, dass er das Thema ins nationale Bewusstsein gerückt hat. Die Verantwortung für die Unis liegt letztendlich beim Vizekanzler.

Informatik soll als Mangelberuf eingestuft werden, zugleich beschränken TU und Uni Wien erstmals die Anfängerzahlen. Das ist schon eine paradoxe Situation.

Natürlich ist die Situation von außen betrachtet kurios. Aber beim Zugang geht es um Studierende, die frühestens in sieben Semestern ihren Bachelor haben, im Schnitt in viereinhalb Jahren. Und es werden jetzt Informatiker gebraucht.

Ihr Informatikdekan hat die Situation als grotesk bezeichnet.

Was es grotesk macht, ist, dass auch künftig Informatiker fehlen werden.

Sie bieten jetzt 581 Studienplätze an. Wie viele Plätze für Informatik würden Sie gern anbieten?

Bei der bestehenden Situation 400. 581 ist zwar insofern eine realistische Zahl, weil viele Studienanfänger zuletzt gar keine oder kaum Prüfungen absolviert haben. Es ist aber immer noch mehr, als wir an Ressourcen haben. Und wir schieben wegen der vergangenen Jahre eine riesige Bugwelle vor uns her.

Wie viele Studienanfänger würde man denn brauchen?

Es ist bedenklich, dass wir immer über die Anfänger diskutieren – dabei sollten wir über die Absolventinnen und Absolventen sprechen. Im Studienjahr 2013/14 gab es 263 Abschlüsse – 2009/10 hatten rund 1400 Studierende angefangen. Das ist inakzeptabel.

Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP, Anm.) meinte, dass man Informatik an den FH ausbauen könnte. Generell geht es in die Richtung, dass die FH Fächer übernehmen könnten.

Was überhaupt nicht geht, ist, eine Studienrichtung zu nehmen und sie einer Fachhochschule mit einer Schleife als Geschenk zu überreichen. Aber was man sich anschauen muss, ist, welchen Bedarf an Absolventen es in den einzelnen Bereichen gibt. Um diese Diskussion kommen wir nicht herum.

Welchen Bedarf gibt es denn an Uni- und an FH-Absolventen?

Ich kann keine Zahlen nennen, aber glaube, dass wir auf dem vielschichtigen Arbeitsmarkt alle Qualifikationen brauchen und dass es viel mehr HTL- und FH-Absolventen braucht als Uni-Absolventen. Wir müssen uns überlegen, was unser USP, unser Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu einem FH-Studium, ist. Wenn in einem Studium Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, muss man schauen, wie man da herauskommt, und kann dann etwa sagen: Ich gehe eine Kooperation mit einer FH ein. Oder: Ich will dieses Studium so nicht weiterführen.

Konkret soll etwa über die Verlagerung von Architektur an die FH geredet werden. Ist das denkbar?

Wir denken darüber nach, was das USP eines Uni-Absolventen ist. Da habe ich pointierte Meinungen. Zuerst brauchen wir aber einen ehrlichen – und internen – Diskurs.

Sie scheinen recht offen. Vielfach macht es den Eindruck, dass von den Unis in diesem Prozess eher ein reflexhaftes Nein kommt.

Weil alle fürchten, dass mit der inhaltlichen Umverteilung eine finanzielle verbunden ist. Ich sehe die Risken: Ich bin auch nicht bereit, einen Beitrag zu leisten, um mich selbst abzuschaffen. Aber ich sehe auch die Chancen für die Universitäten. Wir sind ja nicht gerade die Liebkinder der Gesellschaft.

Wer ist denn das?

Ich glaube schon, dass die Fachhochschulen teilweise ein höheres Renommee genießen.

Weil die FH die Effizienten sind und die Unis die Geldfresser?

Die Unis schleppen einen Wahnsinnsrucksack mit sich. Und keiner glaubt uns, dass wir anders geworden sind, effizienter, leistungsorientierter und vor allem offener.

Die FH bekommen jedenfalls Extra-Geld aus der Bankenmilliarde. Hätten Sie das lieber bei den Universitäten gesehen?

Natürlich hätten die Universitäten von diesem Geld gern etwas gehabt. Und sie brauchen es auch. Insbesondere, weil bei der Budgetverteilung jene Universitäten, die Mint-Fächer anbieten, nicht bevorzugt behandelt wurden.

Rhetorisch kommt das aber immer ganz anders rüber: Da wird der Ausbau der Mint-Fächer – also der in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – gepredigt.

Es gibt eine Studie vom Finanzministerium, die die Mittelverteilung auf die Unis aufarbeitet. Das gesprochene Wort und der umgesetzte finanzielle Wille stimmen leider nicht so gut überein.

Sollte man weniger mit der Gießkanne finanzieren – und mehr finanzielle Schwerpunkte setzen?

Gerade in einem unterfinanzierten System, in dem wir immer Loch-auf-Loch-zu-Taktik fahren, ist das schwierig. Wenn man sich ansieht, welche Trends die Digitalisierung mit sich bringt, ist schnell klar, dass das zwar im Kern ein naturwissenschaftlich-technisches Thema ist. Aber eines, das immense Auswirkungen auf die Gesellschaft hat.

Was bedeutet das?

Das bedeutet, dass sofort die Sozial- und Geisteswissenschaften involviert sind. Wenn man zum Beispiel dahin kein Geld mehr gibt, sondern nur noch die Mint-Fächer fördert, ist das die falsche Entscheidung. Eine andere Mittelverteilung funktioniert bei der derzeitigen Mangelwirtschaft nicht.

ZUR PERSON

Sabine Seidler (55) ist seit Oktober 2011 Rektorin der Technischen Universität Wien. Sie steht noch bis mindestens 2019 an der Spitze der TU. Dass dort (wie auch an der Uni Wien) dieses Jahr erstmals die Möglichkeit genützt wird, den Zugang zum Informatikstudium zu beschränken, hat unlängst zu einer Kontroverse geführt. Die Technische Universität Wien bietet nun in Informatik 581 Anfängerplätze an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2016)

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