Lehrermangel? „Lehramt für Chemie wird zu schwer“

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Themenbild(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Lehrer und Industrie warnen angesichts der neuen Lehrerausbildung vor einem Mangel an Chemielehrern an den Neuen Mittelschulen. Denn das Studium wird deutlich umfangreicher.

Wien. Dem Fach Chemie kommt in den Neuen Mittelschulen eine untergeordnete Rolle zu. Für den Chemielehrerverband und den Fachverband der Chemischen Industrie ist das schon jetzt „eine Katastrophe“. Nun befürchten sie durch die neue Lehrerausbildung eine weitere Verschlechterung für den Chemieunterricht – konkret einen Chemielehrermangel an den NMS.

Ab diesem Wintersemester werden Chemielehrer für die NMS nicht mehr allein an den Pädagogischen Hochschulen (PH) ausgebildet. Ihre Ausbildung findet zugleich an PH und Universitäten statt. Die beiden Institutionen arbeiten in der Lehrerausbildung fortan zusammen (siehe Faktenkasten). Künftig soll es keinen Unterschied mehr zwischen der Ausbildung von NMS- bzw. AHS-Lehrern geben und alle Lehrer für die Altersgruppe der Zehn- bis 19-Jährigen gemeinsam zum sogenannten Sekundarstufenlehrer ausgebildet werden.

Für Chemielehrer an den NMS wird sich dadurch einiges ändern – ihre Ausbildung wird (wie die vieler anderer Fachlehrer) deutlich umfangreicher. Allein schon dadurch, dass das sechsemestrige Studium durch ein achtsemestriges ersetzt wird. Außerdem konnte Chemie an der PH bislang nur in Kombination mit Physik studiert werden. Chemie und Physik zählten als ein Fach. Nun ist das anders. Sowohl Chemie als auch Physik ist ein eigenes Lehramtsstudium. Deshalb steigert sich auch die fachwissenschaftliche Ausbildung im Bereich Chemie enorm. Waren es bislang nur 16 ECTS-Punkte, die absolviert werden mussten, werden es künftig 90 fachwissenschaftliche ECTS sein.

„Wollen wohl eher an die AHS“

„Ein Chemie-Lehramtsstudium wird angesichts dessen wohl für viele zu schwer“, warnt Ralf Becker, der Präsident des Chemielehrerverbands. Er rechnet nicht nur mit einer hohen Drop-out-Rate, sondern auch mit weniger Anmeldungen. Die Hemmschwelle, ein Uni-Studium aufzunehmen, sei größer. Viele Chemielehrer an der NMS seien aus der Praxis und über die Berufsreifeprüfung zum Chemielehramtsstudium an die PH gekommen. Diese würden von einem umfangreichen Uni-Studium zurückschrecken. Außerdem befürchtet Becker, dass universitär ausgebildete Lehrer, die Zehn- bis 19-Jährige unterrichten dürfen, „wohl eher an die AHS gehen wollen und nicht an die NMS“. Nicht nur wegen des Prestiges, sondern auch, weil es an den NMS nur sehr wenige Chemiestunden gibt und Lehrer daher nur schwer auf ihre Unterrichtsstunden kommen. Der Lehrermangel sei programmiert.

Andreas Schnider, der Vorsitzende des Qualitätssicherungsrats für die Lehrerausbildung, sieht in der umfangreicheren Chemielehrerausbildung kein Problem, sondern einen Vorteil: „Wir sind uns einig, dass der bisherige Ausbildungsumfang zu gering war. Nun steigt die Qualität und das ist gut“, so Schnider zur „Presse“.

Kaum qualifizierte Lehrlinge

Für den Chemielehrerverband und den Fachverband der Chemischen Industrie ist die NMS schon jetzt „der Bereich, der uns die größten Sorgen bereitet“, so Becker. In den NMS würden häufig Lehrer eingesetzt, die das Fach Chemie nie studiert haben. Das schmälere die Motivation. An einem Viertel der NMS haben die Schüler laut einer Umfrage des Lehrerverbands in den ganzen vier Jahren nur eine einzige Wochenstunde Chemie. „Wie soll ein Schüler da die Bedeutung von Chemie erkennen?“, fragt Becker.

Das bereitet auch Sylvia Hofinger, der Geschäftsführerin des Fachverbands der Chemischen Industrie, Sorgen: „Das alles hat nicht nur Folgen für die Allgemeinbildung, sondern auch auf die Industrie. Schon jetzt ist es schwer, qualifizierte Lehrlinge als Chemielabortechniker oder Chemieverfahrenstechniker zu finden.“

AUF EINEN BLICK

Die neue Lehrerausbildung für den Sekundarbereich startet mit diesem Semester. Lehrer werden nicht mehr für einen Schultyp (Neue Mittelschule oder AHS), sondern für eine Altersgruppe ausgebildet. Die Ausbildung findet in einem Verbund von PH und Unis statt. Der Bachelor dauert vier Jahre, für PH-Studierende damit länger. Danach folgt ein ein- bis eineinhalbjähriger Master.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2016)

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