Zwischenjahr: Probestudium für Unentschlossene

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Inspiriert von Niedersachsen überlegt Innsbruck eine Orientierung. So sollen mehr Frauen in die Technik finden – und Männer in Sozialberufe.

Innsbruck. Nach der Matura brauchen Schulabsolventen einmal vor allem eines: Orientierung bei der Studienwahl. Und die könnte um einiges intensiver ausfallen, als das gewöhnlich der Fall ist, findet man an der Universität Innsbruck. Rektor Tilmann Märk ventilierte am Wochenende daher die Idee eines Zwischenjahres, also einer Orientierungsphase zwischen der Matura und dem Studium. Angehende Studenten sollten dabei in Studium und Unternehmen hineinschnuppern können. So könnten konkret mehr Frauen in die Technik finden und mehr Männer in Sozialberufe, besonders in den Kindergarten und in die Volksschule.

Die Inspiration dafür kommt aus Deutschland, nämlich aus Osnabrück, wo vor inzwischen sechs Jahren das Niedersachsen Technikum gestartet wurde. Junge Frauen können sich dort nach dem Abitur ein Semester lang mit ihrem potenziellen Studium befassen. An vier Tagen pro Woche machen sie ein Praktikum in einem von derzeit 81 Technikunternehmen, für das sie 300 bis 500 Euro monatlich bekommen. Am fünften Tag sitzen sie als Gasthörerinnen in einer Vorlesung an einer der neun teilnehmenden Unis und Fachhochschulen. Und nach diesem Semester sollte ihnen klar sein, ob sie nun wirklich in die Technik gehen wollen – oder ob der Bereich doch nichts für sie ist.

Rund 400 junge Frauen haben das Projekt bisher absolviert. Neun von zehn haben sich danach für den Weg in die Technik entschieden, manche für eine Ausbildung, rund 80 Prozent für ein technisches Studium. „Die ziehen dann auch ihr Studium durch“, sagt Judith Bräuer vom Technikum zur „Presse“. „Wir haben bislang keine, die ihr Studium geschmissen hat.“ Und auch die, die sich nach diesem Semester anders orientieren, seien kein Verlust: Sie treffen dann eine bewusstere Studienentscheidung – für eine andere Richtung. Inzwischen haben auch andere deutsche Bundesländer ähnliche Programme gestartet oder überlegen, das zu tun – wie eben auch Tirol.

Soll Studienzeit verkürzen

„Das ist eine tolle Idee“, sagt Uni-Innsbruck-Vizerektor Bernhard Fügenschuh, der bei einer Tagung in Berlin auf das Modell gestoßen ist, und es bereits den anderen Universitäten, den Fachhochschulen und den Pädagogischen Hochschulen in Tirol vorgestellt hat. Interessant findet man das Modell in Innsbruck demnach vor allem für zwei Bereiche: für den Technikbereich, in dem Frauen fehlen. Und für den Pädagogikbereich – Kindergarten und Volksschule –, in dem Männer selten vertreten sind. Demnächst will man die Koordinatorin des niedersächsischen Projekts nach Tirol einladen und überlegen, ob und wie das Modell – derzeit ja nur eine Überlegung – in Tirol umsetzbar ist. Dabei geht es wohl auch um die Frage: Semester oder Jahr. Und auch mit den potenziellen Partnern aus der Wirtschaft und dem Land Tirol will man sich bald zusammensetzen.

„Wir müssen immer mehr darauf bedacht sein, die richtigen Leute in die richtigen Studiengänge zu bringen“, sagt Fügenschuh zur „Presse“. Die bestehende Studieneingangs- und Orientierungsphase sei dafür nur bedingt geeignet. Denn sie sei eben schon Teil des regulären Curriculums. „Wenn Studierende da herausfallen, dann gilt das bereits als Drop-out.“ Das Problem, dass ein Orientierungsjahr (oder Semester) die Dauer des Studiums verlängert, sieht der Vizerektor nicht unbedingt als solches. „Das soll nicht die Studienzeit verlängern, sondern vielmehr durch eine gezieltere Wahl die Studienzeit verkürzen“, sagt er.

„Interessanter Vorschlag“

Ähnlich sieht man das im Wissenschaftsressort: „Im Sinn eines ernsthafteren Studiums halten wir das für einen interessanten Vorschlag, der auf Herausforderungen am Studienanfang reagiert“, heißt es aus dem Büro von Minister Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Ob die Hochschulen das allein umsetzen können oder ob es dafür eine neue rechtliche Basis braucht, hänge von der konkreten Ausgestaltung der Idee ab.

AUF EINEN BLICK

Orientierung. In Niedersachsen gibt es seit inzwischen sechs Jahren das sogenannte Niedersachsen Technikum, ein Programm, das mehr junge Frauen für ein technisches Studium bzw. eine Ausbildung motivieren will. Ein Semester lang können sie in Unternehmen und Hochschulen hineinschnuppern. Die Universität Innsbruck überlegt, in Tirol ein ähnliches Modell zu etablieren. Neben der Technik könnte dabei auch der Pädagogikbereich – in dem Männer fehlen – einbezogen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2016)

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