Das Wissenschaftsressort kämpft mit Zahlen um die Österreicherquote. Die Chancen sieht der Minister bei 60 Prozent. Sonst könnte die Gebührendebatte wieder aufleben.
Wien. Viele Deutsche wollen in Österreich Medizin studieren – aber kaum einer von ihnen bleibt nach dem Abschluss als Arzt hier. Ohne die Österreicherquote wären in den vergangenen fünf Jahren rund 700 Mediziner mehr abgewandert. Und es wird schlimmer, weil Deutschland künftig besonders viele Ärzte suchen wird. In einem 181-seitigen Bericht hat das Wissenschaftsministerium allerhand Zahlen nach Brüssel geschickt, die der EU-Kommission eines beweisen sollen: Wenn die Quote fällt, die derzeit drei Viertel der Medizinstudienplätze für Österreicher reserviert, fehlen dem Land die Ärzte.
Bis Jahresende wird die Kommission entscheiden, wie es mit der Österreicherquote weitergeht. Sie hatte die seit 2006 geltende Regelung wegen Diskriminierung bekämpft, gewährte aber ein Moratorium. Das nun eben ausläuft – was Österreich in Schwierigkeiten bringen könnte, wie Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) am Donnerstag sagte. Ohne die Regelung fehlen bis 2030 rund 3500 Ärztestellen – das sind um 1100 mehr als mit der Quote, zitierte der Ressortchef Berechnungen der Ärztekammer.
7,5 Prozent arbeiten hier
Mit der Einführung der Quote und der dazugehörigen Platzbeschränkungen ist die Zahl der Absolventen gesunken. Und dabei, so argumentiert das Wissenschaftsministerium, jedenfalls die der österreichischen (siehe Grafik oben). Die Deutschen machen inzwischen 18 Prozent der Jungmediziner aus. Für die meisten von ihnen ist Österreich aber nur ein Übergangsland – und zwar noch mehr als ursprünglich gedacht.
Während 60 Prozent der deutschen Medizinstudenten angeben, dass sie Österreich nach dem Studium verlassen wollen, sei der tatsächliche Anteil der Rückkehrer viel höher. In die österreichische Ärzteliste lassen sich demnach nur zehn Prozent der deutschen Absolventen eintragen. Von den insgesamt 603, die zwischen 2008 und 2012 abschlossen, standen laut Zahlen der Statistik Austria überhaupt nur 46 – also 7,5 Prozent – dem österreichischen Gesundheitssystem zur Verfügung. Bei Österreichern und Absolventen aus Nicht-EU-Ländern ist das Verhältnis fast umgekehrt.
Würde die Quote aufgehoben, wären dann nicht mehr nur 20 Prozent der Studienanfänger Deutsche, sondern entsprechend dem Bewerberanteil mindestens 35 Prozent. Oder sogar noch mehr, wie das Ministerium in dem Bericht skizziert: Angenommen wird, dass das Interesse noch steigt, wenn es keine Deckelung mehr gibt. Es wäre zu vermuten, dass dann wie in Psychologie rund die Hälfte der Medizinanfänger aus Deutschland kommen.
Die Quote wackelt gehörig
Mitterlehners Fazit: „Allein mit nationalen Maßnahmen können wir weder beim Angebot von Studienplätzen noch mit einer Attraktivierung des Berufs die Problematik lösen.“ Allzu optimistisch ist der Minister allerdings nicht: Die Chancen, dass die EU-Kommission das Moratorium verlängere oder – noch besser – das Verfahren gegen Österreich einstelle, stünden „60 zu 40“.
Bleibepflicht und Gebühr
Sollte es nicht klappen, ist für ihn immer noch die Variante im Spiel, die er bereits vor einigen Wochen in der „Presse“ als Plan B nannte: Stipendien zu vergeben, für die Medizinstudenten sich im Gegenzug verpflichten, eine Zeitlang im Land zu arbeiten. Wie attraktiv es für deutsche Studierende wäre, so etwas in Anspruch zu nehmen, ist fraglich.
Interessanter könnte es werden, wenn ein solches Modell – wie in Ungarn – mit Studiengebühren verknüpft ist. Insofern könnte die Gebührendebatte aufleben, wenn die Quote fällt. Für Mitterlehner wäre es denkbar, im Fall des Falles wieder über Studiengebühren zu sprechen – zumindest für Medizin. Von Deutschland Geld für Studenten zu verlangen – pro Jahr kostet ein Humanmedizinstudent rund 60.000 Euro – sei dagegen unrealistisch.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2016)