Russische Uni vor dem Aus: Politische Motive?

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Die Europäische Universität in St. Petersburg gilt als Hort kritischen Denkens. Nach Behördenschikanen ist der Lehrbetrieb eingestellt worden.

Russlands Bildungsaufsichtsbehörde hat Ende vergangener Woche der auf Geisteswissenschaften spezialisierten Europäischen Universität in St. Petersburg (EUSPb) die Lizenz entzogen. Sollten Interventionen des Universitätskuratoriums scheitern, dem unter anderem der liberale Putin-Berater Aleksej Kudrin angehört, müssten EUSPb-Studenten bis Mittwoch an anderen Unis eingeschrieben werden.

Die 1994 gegründete private Europäische Universität in St. Petersburg mit 150 Lehrenden und 200 Studierenden, die Masterprogramme oder Doktorate absolvieren, gilt als eine der führenden geistes-, sozial- und politikwissenschaftlichen Forschungseinrichtungen des Landes. Forscher der international bestens vernetzten Uni spielen zudem eine maßgebliche Rolle in kritischen Diskussionen über das aktuelle Russland und haben sich insbesondere in konservativen Kreisen sowie bei Strafverfolgern damit keine Freunde gemacht.

Bereits 2008 war die Universität für einige Zeit lahmgelegt worden, damals auf Initiative der Feuerpolizei. Dem aktuellen Lizenzentzug war ein monatelanger Überprüfungsreigen vorangegangen. Auslöser dafür war eine Anzeige des berüchtigten rechtspopulistischen Abgeordneten Witali Milonow bei der russischen Generalstaatsanwaltschaft gewesen.

Fehlende Info-Tafeln

Während der Sommermonate hätten elf unterschiedliche staatliche Kontrollstellen jeweils außerplanmäßig die Universität überprüft, darunter auch mehrfach die Bildungsaufsichtsbehörde Rosobrnadsor. 116 von zunächst 120 Verstößen, darunter etwa das Fehlen von Informationstafeln gegen Alkoholmissbrauch, habe man laut der Uni in den vergangenen Monaten beheben können. Die genauen Hintergründe der letzten vier Verstöße seien erst nach dem Lizenzentzug und bei einer Krisensitzung der russischen Regierung, die sich am 9. Dezember mit der Causa beschäftigte, bekannt geworden.

Neben dem Fehlen eines Turnsaals im Hauptgebäude der Universität, in der kein Sport unterrichtet wird, beziehen sich die Vorwürfe auf einen zu geringen Anteil politikwissenschaftlicher und soziologischer "Praktiker" sowie auf fehlende Attestierungsverfahren für kurzfristige Lehrbeauftragte.

"Misstrauen und Paranoia"

Beobachter und Betroffene haben keinen Zweifel, dass politische Motive hinter den Schikanen stecken. Der Dekan der Anthropologiefakultät, Ilja Utechin, schrieb am Freitag auf Facebook von einem allgemeinen politischen Trend in Russland, gegen kleine und nicht-staatliche Universitäten vorzugehen. Er sah die aktuelle Bedrohung für seine Universität aber auch vor dem Hintergrund von wachsendem "Misstrauen und paranoiden Hass in Bezug auf kritisches Denken", hinter dem stets "Feinde im Ausland" vermutet würden.

Die Moskauer Tageszeitung "Kommersant" spekulierte am Montag zudem über einen Zusammenhang der aktuellen Vorgänge mit Aktivitäten des Instituts für Rechtsanwendung der Universität. Forscher dieses Instituts sind auch in einem liberalen Thinktank von Putin-Berater Aleksej Kudrin tätig, sie haben sich laut Angaben der Zeitung mit ihren Forschungsergebnissen die Missgunst der Generalstaatsanwaltschaft zugezogen.

Lehrbetrieb ist eingestellt

Die Lage an der Universität selbst war am Montag ernst. Sollte in den nächsten Tagen keine Lösung gefunden werden, müssten laut amtlichen Vorgaben alle Studierende bis Mittwoch in andere Bildungseinrichten überführt werden. Gleichzeitig hat Rektor Oleg Charchordin den gesamten Lehrbetrieb mit sofortiger Wirkung eingestellt. Vortragende dürfen ihre Studierenden einstweilen nur noch im privaten Rahmen treffen.

(APA)

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