USA: Die Mär vom perfekten Uni-System

Studieren Maer perfekten UniSystem
Studieren Maer perfekten UniSystem(c) REUTERS (DARREN STAPLES)
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Auf den ersten Blick hinkt das österreichische Hochschulsystem dem amerikanischen in vielen Punkten hinterher. Wer einen genaueren Blick riskiert, erkennt jedoch: So einfach ist die Sache nicht.

Wien. Auf den ersten Blick hinkt das österreichische Hochschulsystem dem amerikanischen in vielen Punkten hinterher. Denn wo gibt es hierzulande schon weltweit angesehene Universitäten wie etwa Yale, Berkeley oder Harvard, die eine magnetische Anziehungskraft auf ausländische Studenten und auf Gastprofessoren ausüben?

Wer einen genaueren Blick riskiert, erkennt jedoch: So einfach ist die Sache nicht. Vorbild für das europäische System sind nämlich lediglich jene US-Hochschulen, die Lehre und Forschung miteinander verbinden – und daher auch Promotionsstudiengänge anbieten. Es wird suggeriert, die idealen Verhältnisse dieser „Research Universities“ wären US-Standard.

Nur wenige absolvieren Master

Das ist jedoch nicht ansatzweise zutreffend: Von den zirka 15 Millionen amerikanischen Studierenden besuchen lediglich etwa zwei Millionen diesen Typ Hochschule. Der Großteil ist an Colleges, die ebenfalls mit Bachelor und Master abschließen. Weitere 40 Prozent studieren überhaupt nur an einem der Two Year Colleges, deren Ausbildungsniveau nicht einmal jenem der österreichischen gymnasialen Oberstufe entspricht. Sie erhalten nicht einmal einen Bachelor. In Österreich sind 85 Prozent der Studenten an Forschungs-Unis immatrikuliert.

Knapp die Hälfte eines Jahrganges besucht in den USA Anstalten des tertiären Bildungssystems, wobei ein Drittel aller Studierenden ihr Studium nur mit dem Bachelor abschließt. Der Großteil aller US-Hochschüler verlässt den tertiären Bildungsbereich also, ohne mit wissenschaftlichem Arbeiten je in Berührung gekommen zu sein. Anders als in Österreich macht nur ein kleiner Teil einen Master-Abschluss.

Eine Spitzenausbildung an den renommierten US-Hochschulen ist sehr teuer. Während Studierende hierzulande wegen Studiengebühren in einer Höhe von knapp 400 Euro im Semester auf die Straße gehen, muss man für ein Jahresticket an einer Spitzeninstitution wie der Columbia University in New York oder der Georgetown University in Washington etwa 40.000 bis 50.000 Dollar bezahlen. Selbst staatliche Hochschulen wie Berkeley in Kalifornien haben ihre Studiengelder inzwischen auf 30.000 Dollar angehoben. Die Unis bieten aber eine Reihe von Stipendien an, die einen Teil der Kosten abdecken und oft bis zu zehn Prozent der Studenten völlig von den Gebühren befreien.

Verschulden für das Studium

Dennoch müssen sich Familien der Mittelschicht oft verschulden, um ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen. „Die Eliteunis kann sich der Durchschnittsbürger – so er nicht sehr begabte Kinder hat – gar nicht leisten“, sagt Hochschulforscher Hans Pechar von der Universität Klagenfurt. Immerhin sind 60 Prozent aller US-Hochschulen privat (aber 2/3 der Studenten sind an öffentlichen Unis), wohingegen der tertiäre Bildungssektor in Österreich großteils von der öffentlichen Hand getragen wird.

Dennoch sind die Ausgaben für die Unis hierzulande vergleichsweise gering: Sie machen 1,3 Prozent des BIPs aus. In den USA sind es drei Prozent. Der entscheidende Unterschied: Zwei der drei Prozent stammen aus privater Hand, etwa aus der Wirtschaft oder von Mäzenen. In Österreich stammt fast das gesamte Geld vom Staat.

Gleiche Zeit für gleiche Diplome

Eine weitere Facette, die die US-Unis auf den ersten Blick besonders attraktiv macht, ist die angeblich weitaus kürzere Studiendauer. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber: Nordamerikanische Studierende verweilen für vergleichbare Abschlüsse nicht kürzer an der Unis als österreichische. Denn selbst wenn die meisten österreichischen Studierenden die Regelstudienzeit überschreiten und ihren Abschluss erst im 12. Semester machen, liegen sie genau gleich mit den Amerikanern. Diese studieren vier Jahre für ihren Bachelor und danach mindestens zwei weitere, um zu ihrem Master zu gelangen. Damit sind 12 Semester verstrichen. Während Dissertationen in den USA bis zu acht Jahre in Anspruch nehmen, werden sie in Österreich meist innerhalb von vier Jahren abgeschlossen – vorausgesetzt, der Student findet den passenden Betreuer.

Auf diesem Feld gibt es in Österreich Nachholbedarf: „Manche Professoren betreuen 100 Dissertationen gleichzeitig. Das ist nahezu kriminell und wäre in den USA unmöglich“, so Pechar. Doch auch hier gilt: Es sind die Forschungs-Unis, die besonders attraktive Betreuungsverhältnisse aufweisen.

Durch das Bologna-System sollen die Systeme angeglichen werden. „Qualitätsvergleiche zwischen österreichischen und US-Bachelor- und Masterprogammen sind sehr schwierig. Möglicherweise wissen wir in einigen Jahren mehr, wenn die OECD ihr neues Projekt ,PISA für Unis‘ umsetzt“, sagt Pechar.

Österreichs Hochschulsystem braucht den Vergleich nicht zu scheuen.

85 Prozent

der Studenten sind an Forschungsuniversitäten inskribiert. Auch an den heimischen Fachhochschulen wird zunehmend geforscht.

8 Prozent

aller Absolventen schließen ihr Studium mit der Promotion ab.

1,3 Prozent

des BIPs betragen die Ausgaben für die Unis pro Studienjahr.

0 Euro

Studiengebühren – es sei denn, man überschreitet die vorgesehene Studienzeit und fällt nicht in eine Ausnahmeregelung. Dann sind 363,36 Euro pro Halbjahr zu zahlen.

Das US-Hochschulsystem ist nicht so gut wie der Ruf, der ihm vorauseilt.

15 Prozent

der Studenten sind an Forschungsuniversitäten inskribiert.

2 Prozent

aller Absolventen schließen ihr Studium mit der Promotion ab.

3 Prozent

des BIPs betragen die Ausgaben für die Unis pro Studienjahr.

40.000 Dollar

Studiengebühren pro Jahr sind an amerikanischen Eliteuniversitäten keine Seltenheit. Familien des Mittelstandes müssen sich oft hoch verschulden, um ihren Kindern eine angemessene Ausbildung bieten zu können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2010)

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