„Bildung ist Österreichern kein großes Anliegen“

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Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle (ÖVP) über die Wirkungslosigkeit des Bildungsvolksbegehrens, „Ghettoschulen“ und die Gesprächsverweigerung von Unterrichtsministerin Claudia Schmied.

Die Presse: 383.280 Menschen haben das Volksbegehren unterschrieben – und damit weniger als erwartet. Ist das auch eine Absage an das Instrument Volksbegehren?

Karlheinz Töchterle: Jene, die unterschrieben haben, muss man sehr ernst nehmen. Aber die ganz große Bewegung ist wohl nicht ausgelöst worden. Das zeigt mir, dass die Bildung zwar immer wichtiggeredet wird. Sie ist den Österreichern aber vielleicht kein so großes Anliegen, wie ich mir das erhoffe. Die Menschen haben zudem ein untrügliches Gefühl für das Zutreffende. Sie lassen sich nicht auf Dauer etwas vormachen. Vermutlich hatten viele das Gefühl: „Hört mir doch auf mit dem Begehren. Das kommt halt ins Parlament, da wird diskutiert, und am Ende passiert wenig.“

Und die Menschen haben recht, wenn sie meinen, dass nichts passieren wird?

Ich fürchte, die Menschen werden sich nicht täuschen. Das Vertrauen in das Instrument des Volksbegehrens fehlt.

Vielfach wurden auch die fehlenden Inhalte des Volksbegehrens kritisiert.

Man konnte aus dem Begehren wenig konkrete Appelle herauslesen. Mich stört aber vor allem etwas ganz anderes: die Einengung der Bildungsdebatte auf die Gesamtschule. Die Gesamtschule ist kein Allheilmittel. Ein Beispiel: Wir wissen, dass manche Schüler nach vier Jahren Volksschule nicht lesen können. Ein solcher Befund ist gravierend. Er bedeutet, dass die Volksschule – sie ist de facto eine Gesamtschule – es nicht schafft, Kindern die einfachsten Kulturkompetenzen zu vermitteln. Die Gesamtschule kann daher keine Lösung sein. Und ständig zu behaupten, die Hauptschule sei eine Sackgasse, ist schlicht falsch. Man kann nach der Hauptschule ein Oberstufengymnasium anschließen.

In der Theorie. Und in Tirol vielleicht.

Auch in anderen Bundesländern. Ich weiß natürlich, dass die Hauptschule in manchen Großstädten eine Sackgasse ist. Weil dort die Gymnasien die Tendenz zur Gesamtschule haben – und die Hauptschule zur Restschule wurde. Solche Ghettoschulen will ich nicht.

Was also tun?

Wir müssen aufhören, so zu tun, als könne man Kinder in Kluge und Dumme einteilen. Wir müssen nach den Begabungen differenzieren, nach Stärken suchen.

Und die Neue Mittelschule ist das Allheilmittel?

Wir müssen abwarten. Bisher ist in der Neuen Mittelschule noch zu wenig geschehen. In eine Klasse einen zweiten Lehrer hineinzusetzen reicht nicht. Da braucht es mehr Fantasie.

Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) hat Ihnen im „Presse“-Interview vorgeworfen, Sie und die ÖVP seien in Hochschulfragen nicht gesprächsbereit.

Ich fühle mich von Claudia Schmied medial ungerecht behandelt. Wenn ich ein Gutachten zu den Studienbeiträgen vorlege und sie spricht in ihrer Reaktion von „diktatorischen Ultimaten“, sage ich: So einen Sager muss man auch erst einmal aushalten. Solche Aussagen hat sie von mir noch nie gehört.

Schmied wirft Ihnen vor, ständig nur Themen aufs Tapet zu bringen, von denen Sie wüssten, dass die SPÖ nicht mitgehen kann.

Ich kann nichts dafür, dass sich die SPÖ bei den Studienbeiträgen so eingemauert hat. Wenn ich ein Studienbeitragsmodell vorlege und das Einzige, was ich von Schmied höre, ist „Njet“, dann frage ich mich, wer von uns beiden nicht gesprächsbereit ist. Sie hat sich nie inhaltlich mit dem Modell auseinandergesetzt. Immer nach Gesamtkonzepten zu rufen, wenn es konkrete Vorschläge gibt, ist nicht zielführend.

Die Ministerin kritisiert, dass die Autonomie der Universitäten in die falsche Richtung gehe...

Sie hat mit ihrer Aussage mehrfach unrecht. Die Uni-Autonomie entspricht nicht nur der Humboldt'schen Idee der freien Wissenschaft. Sie ermöglicht auch, dass Entscheidungen dort getroffen werden, wo sie am besten getroffen werden: von den Experten an den Unis. Der Staat kann über die Leistungsvereinbarungen steuern. Unser System wird mittlerweile als Best-Practice-Modell von anderen Ländern kopiert – in Deutschland, Skandinavien und Tschechien.

Die Ministerin wirft den Unis vor, dass sie ihre Angebote falsch setzten – man stärker auf die Nachfrage abstellen sollte, statt die Studierendenströme zu beschränken.

Ministerin Schmied bringt mit Angebot und Nachfrage ein marktwirtschaftliches Grundgesetz in die Unis. Das ist fragwürdig – gerade von unerwarteter Seite. Ein Beispiel: Wir bauen soeben eine neue Wirtschaftsuni, die mehr als eine halbe Milliarde Euro kostet. Und wir wissen jetzt schon, dass sie zu wenige Plätze haben wird. Was sollen wir tun? Noch drei Wirtschaftsuniversitäten bauen? Dieses Beispiel führt das Konzept der Nachfrageorientierung ad absurdum, da will ich gar nicht mehr dazu sagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2011)

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