Alternsforschung: "Alt sind immer nur die anderen"

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Sich auf Hochschulniveau mit den Herausforderungen des Alters und einer alternden Gesellschaft zu beschäftigen, ist zukunftsträchtig – auch für die junge Generation.

Anfang des Jahres ließ der deutsche Demografieforscher Roland Rau (zitiert in „Die Welt“) mit der Prognose aufhorchen, dass die Hälfte aller heutzutage geborenen deutschen Kinder das hundertste Lebensjahr erreichen werden. Eine Ansicht, die auch hierzulande etliche Experten teilen. Auffallend ist das rasante Wachsen des Anteils hochbetagter Menschen allemal. Europa ist mehrheitlich zu einem „alternden Kontinent“ geworden.

Neuer Master: Altersbilder

Die Alternswissenschaften – Geriatrie, Gerontologie, Geragogik – zählen somit zu den Schlüsseldisziplinen des 21.Jahrhunderts. Ergeben sich doch aus der Verlängerung der Lebenszeit mehrere Phasen des Alters und damit ganz neue Herausforderungen. „Ab dem Jahr 2018 wird ein großer Schub von ,Babyboomern‘ in den Vorruhestand gehen, ab 2022 wird es Fachkräftemangel in allen Bereichen geben“, sagt Bernd Seeberger, Vorstand des Instituts für Gerontologie und demografische Entwicklung an der Umit (Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik) in Hall in Tirol.

Zur Frage, wie künftig mehr ältere Menschen in Beschäftigung gehalten werden können, plant Seeberger eine größere Forschungsstudie. „Warum gehen sie tatsächlich in Pension? Welche Art von Tätigkeiten kommt für sie in der Pension infrage? Nicht wenige ruhen sich ja im Ruhestand einmal vier bis sechs Wochen aus, reisen einige Zeit mit einem Wohnmobil und beginnen dann nach einer Tätigkeit zu suchen, weil sie nicht ausgefüllt sind.“ Weitere Themen sind die „Weiblichkeit des Alters“, also der weitaus höhere Anteil betagter und hochbetagter Frauen, Reha-Konzepte, der Umgang mit Altersverwirrtheit und Demenz sowie altersadäquate Lebensformen abseits der Unterbringung in Heimen. Ein eigener Lehrgang dazu hat sich bisher nicht entwickelt.

Anders an der Universität Graz: Dort hat sich das seit 1999 bestehende „Altersstudium“, in ein dreijähriges Masterstudium verwandelt. „Durch die Erweiterung auf sechs Semester konnten neue inhaltliche Schwerpunkte gesetzt werden, die heutigen Anforderungen gerecht werden“, sagt Lehrgangsleiterin Roberta Mairhofer, „zum Beispiel Gerontotechnik und Mobilität, Sozialpolitik und Sozialökonomie im Modul ,Gerontologische Perspektiven‘, Qualitätsentwicklung und -sicherung sowie Management und Marketing in Organisationen und Projekten. Außerdem werden die Kompetenzen, wissenschaftlich zu arbeiten, vertieft.“

Der wichtigste gesellschaftliche Prozess, dem sich die Gerontologie zu stellen hat, ist aus Maierhofers Sicht die Auseinandersetzung mit Altersbildern. „Zurzeit werden soziale, politische, ökonomische, ethische, architektonische und medizinische Fragen des Alters und des Alterns meist unreflektiert erörtert und beruhen auf einer stereotypen Vorstellung des Alters.“ So werde das Alter in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung nur als Verlust, Verfall und Problem gesehen, anstatt die Möglichkeiten und Chancen einer höheren Lebenserwartung auch wertzuschätzen. „Wenn die demografischen Veränderungen in Metaphern von Tsunami und Naturkatastrophen formuliert werden, dann behindert dies kreative und wertschätzende Strategien für ein lebenswertes Altern“, sagt Maierhofer.

„In der Konzeption und Umsetzung arbeiten Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen. Als Kulturwissenschaftlerin etwa kann ich auf einer Metaebene sowohl Theorie wie Praxis im Bereich der Alternswissenschaften reflektieren, gleichzeitig ergänzen Praktika in verschiedenen Einrichtungen die interdisziplinäre Sichtweise.“

Weiterlernen: Geragogik an der KPH

Ein österreichweit einzigartiges Studienangebot, das vor vor allem das Thema Lernen im Alter fokussiert, ist auch der sechssemestrige berufsbegleitende Masterlehrgang für Geragogik an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (nächster Start Februar 2014). Was Geragogik von Gerontologie unterscheide, sei „die Fokussierung auf ein partizipativ angelegtes Lernen mit Älteren, auf Entwicklung von didaktischen Konzeptionen und Bildungsarrangements, und zwar in Forschung, Praxis und Lehre “, sagt Lehrgangsleiter Karl Langer.

Geragogik versteht sich also als eigenständige Disziplin, die aber Gerontologie und Pädagogik als Bezugswissenschaften hat. Absolventen des oben beschriebenen Grazer Universitätslehrgangs können sich daher ihre Gerontologiekenntnisse für das Geragogik-Studium der KPH anrechnen lassen und damit in das dritte Jahr einsteigen, in dem die angehenden Geragogen ihre Masterthese verfassen.

Zwar würden von manchen Arbeitgebern inzwischen bereits explizit Geragogen angefragt, sagt Langer. Die meisten Absolventen des Masterstudiengangs seien jedoch von ihrer bisherigen Berufstätigkeit her auf ein Tätigkeitsfeld spezialisiert, in dem sie nun ihre Kenntnisse anwendeten. „Geragogen haben zahlreiche Projekte entwickelt – in Schulen, Kindergärten, Pflegeeinrichtungen, in Städten und Gemeinden. Etwa das Konzept für einen Spielplatz, der Raum für alle Generationen lässt. Auch Unterricht von Geragogik an berufsbildenden Schulen oder Seminare für Betriebe zur Entwicklung eines demografiesensiblen Personalmanagements sind entstanden, ebenso ein Lehrgang für Montessori-Geragogik.“

Was übrigens die Alterszusammensetzung der Geragogik-Studierenden selbst betrifft, so ist sie naturgemäß besonders weit gestreut, „von 23 bis 70“, wie Karl Langer erzählt. Eine 70-jährige Absolventin etwa habe ein Konzept für Biografiearbeit erstellt und unterstütze heute Menschen darin, ihre eigene Lebensgeschichte aufzuarbeiten. Im derzeitigen Masterlehrgang gebe es eine Tendenz zu immer jüngeren Teilnehmern, die in der Beschäftigung mit dem Altern eine wichtige Zukunftsstrategie erkannt hätten. „Es ist eine Tatsache, dass die Selbstzuschreibung ,Ich bin alt‘ immer auf die Zukunft verschoben wird. Alt sind immer nur die anderen“, sagt Langer. „Das Entscheidende ist, sich rechtzeitig mit diesem Gedanken vertraut zu machen – und moderne, passende Bilder und Konzepte dazu in den Kopf zu bekommen. Die Bilder, die wir noch von unseren Großeltern im Kopf haben, taugen nicht mehr.“

LEXIKON & LINKS

Gerontologie: die Wissenschaft vom Altern. Sie untersucht die mit dem Älterwerden und Altsein verbundenen Phänomene, Probleme und Ressourcen.

Geragogik: Alterspädagogik. Sie beschäftigt sich mit Methoden und Inhalten des Lernens und sozialen Problemen von älteren Menschen.

Geriatrie: Altersheilkunde & -medizin

Masterstudium Interdisziplinäre Gerontologie: www.uni-graz.at/weitaaww/

Masterstudium Geragogik: www.kphvie.ac.at/fortbildung/

Institut Gerontologie & demografische Entwicklung: www.umit.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2013)

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