Gender Studies: Auf Augenhöhe

Schwangere Frau mit Kindern
Schwangere Frau mit Kindern(c) www.BilderBox.com
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Warum sind Geschlechterverhältnisse und dadurch Hierarchien, wie sie sind? Wie kann man sie verändern? Fragen, denen Studierende nachgehen – und die Emotionen wecken.

Es kann sehr früh losgehen, dass Mann und Frau ihre Geschlechterrolle „zugesprochen“ bekommen: nämlich im Bauch der Mutter. „Eltern, die ein Mädchen erwarten, sprechen mit dem Kind im Bauch bereits anders, als wenn es ein Bub wird“, zitiert Evangeline Adler-Klausner von der Koordinationsstelle für Geschlechterstudien, Frauenforschung und -förderung der Uni Graz eine aktuelle Studie. „Nämlich leiser.“

Söhne und Töchter

Die Unterschiede ziehen sich durch das ganze Leben, die Gesellschaft und Machtverhältnisse. In den Gender Studies, deren Vorgänger in den USA um 1970 entstanden, sollen diese Geschlechterkategorien erforscht werden, etwa in der Psychologie, der Kunstgeschichte, im Recht, der Wirtschaft, in Religion & Philosophie oder auch in der Technik.

Was nicht allen gefällt: Kaum ein Studienbereich weckt so große Emotionen, siehe etwa die geschmähten „Töchter, Söhne“ der Bundeshymne. „Die negativen Reaktionen kommen meist von Männern, die sich verunsichert fühlen, wenn an Hierarchien gerüttelt wird“, erklärt Adler-Klausner. „Es könnte auch damit zusammenhängen, dass es ein frauendominierter Wissenschaftszweig ist. Weil sich Diskriminierte mehr mit den Ursachen ihrer Diskriminierung auseinandersetzen, als die, die nicht diskriminiert werden“, meint Maria Mesner, Studienprogrammleiterin des Masterstudiums Gender Studies der Universität Wien. Schließlich würden Frauen wegen ihres Geschlechtes öfter benachteiligt, als dies bei Männern der Fall sei.

Gender an Hochschulen

Eine offensichtliche Geschlechterhierarchie gibt es zum Beispiel an Universitäten und FH in der Wissenschaft, wo Frauen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert sind. Vergangene Woche trafen sich zu diesem Thema an der TU Wien rund 360 Teilnehmer aus ganz Europa bei der Konferenz „Gender Equality in Higher Education“. „Unser Ziel war es, jene, die an Theorien arbeiten, und jene, die in der Praxis stehen, zusammenzuführen“, erklärt Konferenz-Organisatorin Brigitte Ratzer von der Abteilung Genderkompetenz der TU. Die Zahl der Frauen in wissenschaftlichen Spitzenpositionen ist extrem gering. „Wenn sich so viele Frauen gegen eine wissenschaftliche Laufbahn entscheiden, dann sollte man sich nicht fragen, ob mit den Frauen etwas nicht stimmt, sondern was mit der Art der wissenschaftlichen Karrieren heute falsch ist“, meint Ratzer. Sie arbeitet an der TU unter anderem daran, Genderthemen in die angewandte Forschung zu tragen.

Etwa bei der Entwicklung von Gebäudeklimatisierung: Hier ist es wichtig zu wissen, dass Männer und Frauen ein anderes Wärmeempfinden haben. Anderes Beispiel Verkehrsplanung: „Man geht oft von der irrigen Annahme aus, dass die Menschen in der Früh direkt von zu Hause in die Arbeit und abends wieder retour fahren“, erklärt Ratzer. „Dass es viele Personen gibt, die Betreuungspflichten haben, dadurch längere Wegeketten zurücklegen und daher andere Bedürfnisse haben, wird oft völlig ausgeblendet“, erklärt sie. Generell gilt es, an der männerdominierten TU auch einen weiblichen Blickwinkel zu initiieren. Bei frauenlastigen Studien, etwa der Pädagogik, wäre dagegen eine vermehrt männliche Sichtweise Aufgabe der Gender Studies.

Medizinische Hürden

Auch in der Medizin spielen nicht nur das (biologische) Geschlecht sondern auch die Frage, wie die Geschlechterthematik in Forschung und Wissenschaft integriert oder ausgeblendet wird, eine wesentliche Rolle. „Von zehn Medikamenten, die in den USA zuletzt vom Markt genommen wurden, waren acht für Frauen schädlich oder tödlich, weil bei den Tests zur Medikamentenentwicklung keine weiblichen Versuchspersonen dabei waren“, weiß Ratzer. Auch die Versorgung bei Herzinfarkten ist oft weniger gut, da Symptome bei Männern und Frauen unterschiedlich sind – und immer noch die typischen „Männersymptome“ als gefährlicher gesehen werden.

Es muss aber nicht gleich tödlich enden: Im täglichen Leben kann jeder Geschlechter-Hierarchien beobachten. „Rufen Sie als Frau bei einer Hotline an, weil ihr Computer nicht funktioniert. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie anders behandelt werden als ein Mann mit dem gleichen Problem, ist sehr hoch“, sagt Maria Mesner. Auch Fahrlehrer sprechen oft deutlich anders mit weiblichen als mit männlichen Fahrschülern.

An der Uni Wien sind die Gender Studies für alle offen, die ein passendes Bachelorstudium abgeschlossen haben. „Viele studieren auch berufsbegleitend“, erklärt Mesner. Neben einem theoretischen Grundgerüst werden die Schwerpunkte semesterweise gewechselt. Einmal ist es Körperwahrnehmung, dann Ökonomie oder juristische Fragen. „Wir sind ein kleines Studium und können nicht immer alles anbieten, aber im Lauf eines Studiums kann jeder seine Schwerpunkte bilden“, sagt Mesner.

Eine limitierte Teilnehmerzahl gibt es bei den Studien weder in Wien noch in Graz, 50 bis 60 Studierende beginnen pro Semester in Wien, in Graz sind es zwischen 30 und 50 pro Studienjahr. Durch die Interdisziplinarität sind die Studiengänge für Menschen mit unterschiedlichster Erstausbildung interessant, oft tauchen Pädagogen, Sozialarbeiter oder Gleichstellungsbeauftragte tiefer in die Thematik ein. Auch Männer.

INFORMATION

Uni Wien: Masterstudium Gender Studies: gender.univie.ac.at

Universität Innsbruck: MA Gender, Culture and Social Change:

www.uibk.ac.at/ma-gender

Uni Graz: Studienangebot, z.B. Masterstudium Interdisziplinäre Geschlechterstudien, koordination-gender.uni-graz.at

Österreichische Gesellschaft für Geschlechterforschung ÖGGF

www.oeggf.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2014)

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