Akademischer Blick auf „Hättiwari“

Wien, Oper
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Austrian Studies. Am 1. Mai feiert sich Österreich. Doch was macht dieses Land eigentlich aus? Studienangebote dazu sind hier rar, im Ausland ist das Angebot der Austrian Centers begehrt.

Was ist typisch österreichisch? Ein Staatsfeiertag, der auch Protesttag ist? Die an diesem Tag alljährlich angestrebte Öffnung der Großglockner-Hochalpenstraße? Der Maibaum? Auf diese Frage könnte man vieles zitieren: von Erwin Ringel, der hierzulande mehr Neurotiker ortet als anderswo, bis zur Marketingexpertin Alice Nilsson, die im „Hättiwari“ den „wahren Kern von Österreich“ sieht. Akademisch wird danach vornehmlich in der Literaturwissenschaft gesucht.

Querschnittsmaterie

Das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek hat zum Thema einen eigenen Hörraum eingerichtet. „Typisch österreichisch ist die Intermedialität vieler Schriftsteller, die sich in einer Fülle von Doppelbegabungen zeigt, der Hang zum Performativen, zur Theatralik und zum Gesprochenen, dazu eine Begabung für Satire und Polemik“, so Museumsleiter Bernhard Fetz. Aber auch „historische Geschehnisse, wie die Gebietsverschiebungen im Vielvölkerstaat, die starke Zuwanderung nach Wien oder die Vielsprachigkeit Galiziens haben im literarischen Leben ihre Spuren und Brüche hinterlassen. Mancher noch zu Zeiten der Monarchie geborene Schriftsteller hat immerhin fünf verschiedene politische Systeme erlebt“. Österreich-Studien seien daher eine Querschnittsmaterie, selbst wenn es um einen abgegrenzten Bereich wie Literatur geht, die nicht ohne ihren historischen, kulturellen, politischen oder sozialen Kontext betrachtet werden könne.

Der Master Austrian Studies der Universität Wien behandelt auch die Literaturen Zentraleuropas. „Das Verständnis der österreichischen Gegenwart sollte auch auf einer Reflexion basieren, wie sich Kulturtraditionen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Habsburgermonachie und deren interkultureller Dimension herausgebildet haben“, sagt Konstanze Fliedl, die das Studium mitentwickelt hat. Da die Studierenden Englisch, Französisch oder Italienisch eher beherrschten als slawische Sprachen, wird Basiswissen in diesen und kulturhistorisches Überblickswissen als Asset für die Absolventen, auch im Hinblick auf die Berufswahl, gesehen.

Kulturarbeit im Ausland

Das vor drei Jahren gestartete Studium ist das Einzige seiner Art in Österreich. „Da ausländische Universitäten – etwa Saarbrücken oder Jerusalem – durchaus Austrian Centers haben, die einschlägige Kurse anbieten, wollten wir den Standortvorteil der Universität Wien für einen einschlägigen Studiengang nutzen, auch in Hinblick auf hiesige Quelleninstitutionen wie die Österreichische Nationalbibliothek oder das Literaturarchiv“, so Fliedl. Nachdem eine der Berufsperspektiven, zu denen dieses Studium verhelfen soll, Kulturarbeit für Österreich im Ausland ist, sind auch eine Lehrveranstaltung wie „Deutsch als Fremdsprache“ oder „Sprache in Österreich“ im Curriculum. Vorgesehen ist auch ein Auslands- und ein Inlandspraktikum.

Auslandspraktika würden gerne an den Österreichbibliotheken geleistet, gelegentlich auch an den Kulturforen, sagt Fliedl. Betreffend Inlandspraktika halte man Kontakt mit der Gesellschaft für Literatur, dem Literaturhaus, dem Literaturarchiv an der ÖNB, der Wienbibliothek und der Alten Schmiede. Weitere Optionen sind Verlage, Buch Wien, Dramaturgien, Zeitungen, Parlamentskorrespondenz oder Filmfestivals.

Forschung in Amerika

Ein Blick auf die Austrian Centers in Nordamerika zeigt, dass Österreich als Thema primär in den Geisteswissenschaften eine Rolle spielt. Die Austrian Studies Association (ASA) etwa setzt sich zum Ziel, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte, Literatur und Kultur Österreichs vom Zeitalter der Aufklärung bis in die Gegenwart hinein zu fördern. Imke Meyer, derzeitige Präsidentin der ASA, ist selbst als Literaturwissenschaftlerin an der University of Illinois in Chicago tätig und hält regelmäßig Lehrveranstaltungen zu „Wien um 1900“ ab. „Die Seminare sind in der Regel interdisziplinär ausgelegt und erlauben den Studierenden Einblick in Literatur, Kunst, Design, Architektur, Musik und die Entwicklung der Psychoanalyse in der Wiener Moderne.“ Auf gute Resonanz bei amerikanischen Studierenden stoßen Kurse zu Mozart oder Schubert, aber auch zum modernen Kunstschaffen. „Die Verleihung des Literaturnobelpreises an Elfriede Jelinek hat die Aufmerksamkeit für die österreichische Gegenwartsliteratur wachsen lassen. Durch den steigenden Bekanntheitsgrad von Michael Haneke ist auch der österreichische Gegenwartsfilm für nordamerikanische Studierende von größerem Interesse.“

Dennoch gibt es auch Österreich-Zentren, die verstärkt Inhalte aus nicht geisteswissenschaftlichen Disziplinen in ihre Programme aufnehmen. Am Center for Austrian Studies an der University of Minnesota wird bei einer Veranstaltung der letztjährige Wiener Life Ball als sozialwissenschaftliches Gender-Thema diskutiert. Eine der jüngsten Publikationen des kanadischen Wirth Institute for Austrian and Central European Studies an der University of Alberta ist den „Advances in Austrian Economy“ gewidmet.

Zumeist finden sich auf den Homepages der amerikanischen Österreich-Zentren Ausschreibungen von diversen Stipendien, Postdoc-Stellen und Forschungsprojekten. In den akademischen Boards finden sich österreichische Jungwissenschaftler, deren Forschungen ihnen Amerika-Jahre beschert haben. Auch hierzulande ist die Aussicht, es mit Österreich-Wissen zu etwas zu bringen, trotz aller Stellenknappheit in den Geisteswissenschaften, nicht hoffnungslos. Fetz: „Bei Stellenausschreibungen für neue Mitarbeiter ist die Vertrautheit mit der österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts ein Grunderfordernis.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2015)

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