Die Wissenschaft als Krisenhelfer

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International. Know-how aus Österreich: Die Beiträge heimischer Hochschulen zur Unterstützung von Ländern in Krisensituationen reichen von Staatstheorie bis Baukunst. Drei Beispiele.

Die aktuelle Flüchtlingsproblematik lässt andere Krisen derzeit in den Hintergrund treten. Doch Krieg, Elend, Seuchen oder Naturkatastrophen fordern weltweit nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft heraus, bessere Strategien zu Vermeidung und Hilfe zu entwickeln.


•Minderheitenrecht:
Ein latentes politisches Pulverfass ist etwa der Südkaukasus. In Aserbeidschan, Armenien und Georgien bereiten neben den Minderheitenkonflikten auch Fragen nach der künftigen Ausrichtung Kopfzerbrechen: Wie soll es mit den Staaten, die quasi zwischen Russland und Europa liegen, weitergehen? Mit wem sollen sie eine Partnerschaft eingehen? Welche Rechts- und Lebensmodelle liegen ihnen näher?

Seit Jahren organisiert das REEES-Zentrum (Russian, East European and Eurasian Studies Centre) der Karl-Franzens-Universität Graz Sommer- und Winterschulen in den Kaukasusländern und holt Wissenschaftler aus der Region sowie der Ukraine zu Studienzwecken nach Graz, um die Möglichkeit unabhängiger Forschungen jenseits aller politischen Einflüsse zu schaffen. „Es herrschen in diesen Ländern teilweise absurde Fantasien darüber, was die EU ist“, sagt Benedikt Harzl, REEES-Rechtswissenschaftler und Osteuropa-Spezialist. „Man hält sie teilweise für so eine Art Tentakel Amerikas, und es mangelt an Wissen darüber, dass Minderheitenrechte ein Aufnahmekriterium sind.“ Unter der Ägide der Grazer Rechtswissenschaften haben sich nun aktuell Forscher aus den genannten Staaten sowie der Türkei zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um sich vor allem mit den EU-Minderheitenrechten zu beschäftigen.


•Erdbebensicherheit:
Ebenfalls aus Graz, jedoch von dessen Technischer Universität, stammt eine Innovation ganz anderer Art, die Krisenfestigkeit im wörtlichen Sinne bedeutet: erdbebensichere Häuser aus Brettsperrholz (BSP), also kreuzweise verklebten Massivholzbrettern. Vor Kurzem unterzeichnete die TU einen Vertrag mit der japanischen Regierung, die BSP flächendeckend einsetzen will.

Seit 25 Jahren gibt es am Institut für Holzbau und Holztechnologie der TU Graz einen entsprechenden Forschungsschwerpunkt. Institutsleiter Gerhard Schickhofer, der mit seiner Dissertation und nachfolgenden Arbeiten als wissenschaftlicher Wegbereiter dieser Technologie gelten kann, wirkte auch am Aufbau einer der ersten BSP-Produktionsstätten Österreichs mit. Seither hat sich Brettsperrholz zu einem österreichischen Exportschlager entwickelt, die Steiermark zu dessen Mekka. Zwei Drittel der weltweiten Jahresproduktion von rund 700.000 Kubikmetern stammen aus Österreich.

Vor Japan habe sein Institut auch mit Kanada einen intensiven Austausch gepflegt, sagt Schickhofer. Die mehrfach publizierten Ergebnisse hätten damals zu einem Überschwappen des Interesses auf die USA geführt. Die vielen Vorzüge von BSP im Vergleich zu Konkurrenzbaustoffen (Einfachheit der Verarbeitung und Montage ohne Lärmbeeinträchtigung) machten die Holz-Massivbauweise auch für Großstädte wie London, Mailand oder Melbourne interessant.

Dazu komme der Vorzug extremer Erdbebensicherheit. „Nach dem Erdbeben in L'Aquila 2009 wurden zahlreiche Wohnbauten in dieser Region mit Brettsperrholz errichtet. In kurzer Bauzeit konnte damit der nach einem Beben so dringend benötigte Wohnraum geschaffen werden“, sagt Schickhofer. „In zahlreichen Forschungsprojekten konnte die Erdbebentauglichkeit der Holz-Massivbauweise mit BSP eindrücklich bewiesen werden. Es läge auf der Hand, diese Bauweise für weitere erdbebengefährdete Regionen zum Einsatz zu bringen. Ich sehe hier keine Grenzen.“

In Japan ist das Produkt Brettsperrholz laut Schickhofer erst seit rund zehn Jahren wissenschaftliches Thema. Die Kooperation solle daher primär zu einem Austausch auf wissenschaftlicher Ebene zwischen Studierenden und Lehrpersonal führen. In der Folge werde es vermutlich auch zu einer Zusammenarbeit auf wirtschaftlicher Ebene kommen.


•Studenteninitiative:
Auf ganz andere Weise spielt Holzbau eine Rolle, wenn es um Perspektiven für den Kosovo geht. Nahezu das halbe Territorium des jungen Staats ist bewaldet. Entsprechend bedeutsam ist Holz als Ressource.

In Ferizaj, südlich der Hauptstadt Priština, befindet sich der Fachbereich Forest Products Technology der Universität Priština. Seit sieben Jahren arbeitet die Fakultät mit dem Studiengang Holztechnologie und Holzbau der FH Salzburg zusammen. Im Rahmen des Projekts „Higher Kos“ des World University Service (WUS) Austria entwickelten die Salzburger 2008 ein neues Curriculum für den Fachbereich. Zwei Jahre später wurde dort zum ersten Mal eine internationale Konferenz organisiert. Zusätzlich wurden Workshops für Studierende beider Länder organisiert sowie gemeinsame wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht.

Die positive Entwicklung spiegelte sich in Priština in einem Anstieg der Studierendenzahlen des Holz-Fachbereichs wider. Zudem erhielt die Fakultät für angewandte Wissenschaften ein neues Gebäude. Und sie wurde in eine offiziell genehmigte Fachhochschule nach Salzburger Vorbild umgewandelt. „Im Lichte der Flüchtlingsproblematik und vor dem Hintergrund, dass der Kosovo nun bald als sicheres Herkunftsland gelten wird, soll die FH jungen Menschen Perspektiven für ihre Zukunft auf Basis einer fundierten Ausbildung bieten können“, sagt Maximilian Pristovnik, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Studienganges Holztechnologie & Holzbau der FH Salzburg. Konkret sollen dafür auch jene 6800 Euro verwendet werden, die der Salzburger Studiengang im Zuge der Verleihung des Erhard-Busek-Preises für das Kosovo-Projekt erhielt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2015)

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