„Es ist ein anderes Lebensgefühl“

Campus der Yale University in New Haven
Campus der Yale University in New Haven(c) REUTERS/Michelle McLoughlin
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Für das Leben, nicht nur für den Lebenslauf lernt, wer Job oder Studium im Ausland absolviert.

Keine Lust auf die kalte Jahreszeit? Wer den nächsten Winter in Australien, Südamerika oder einem anderen Land in der Nähe des Äquators oder auf der südlichen Erdhalbkugel verbringen möchte, könnte das in Form eines Auslandssemesters oder -praktikums tun – und sich nun schon dafür bewerben. Denn jetzt laufen die Bewerbungsfristen für das Studienjahr 2016/17. Natürlich für alle Länder – nicht nur die südlichen. „Das fachliche Angebot der Gastuniversitäten, Eigenständigkeit, neue Erfahrungen, neue Freunde“, nennt Margarita Calderón-Peter, Head des Center for International Relations an der Boku in Wien, als Motivation für ein Auslandssemester. Andere Länder, andere Sitten, andere Lehrpläne, andere Arbeitsbedingungen: Studierende absolvieren nicht immer ein klassisches Austauschsemester, sondern arbeiten in fremden Ländern, besuchen internationale Summer Schools oder forschen für Bachelor-/Masterarbeiten oder Dissertationen an einer Partneruniversität.

Georg Harrer studiert an der TU in Wien Technische Physik. Er hat ein Auslandssemester zeitlich in seinem Studienplan nicht untergebracht, wollte die Erfahrung des Eintauchens in eine andere Kultur aber nicht missen. So hat er sich bei IAESTE für ein Auslandspraktikum beworben. Die international tätige Studierendenorganisation vermittelt Praktika für Studierende technischer und naturwissenschaftlicher Studienrichtungen. Für Jobs in Großbritannien, Afrika und Japan hatte Harrer sich beworben, es wurde Afrika. Für etwas mehr als vier Monate unterrichtete er an einer Privatschule in Tansania Mathematik und Physik. „In den ersten ein bis zwei Wochen hat man schon eine Art Kulturschock“, berichtet Harrer. Nicht nur die Kultur ist ganz anders in Afrika, „es ist auch ein anderes Lebensgefühl“, erzählt er „Hier freuen sich die Kinder noch, dass sie zur Schule gehen können.“

Interkulturelle Kompetenz

Studierende der Technischen Physik sind an der TU Wien nicht die reiselustigsten Studierenden. „Was aber auch mit der geringeren Studierendenzahl in diesem Fach zusammenhängt“, betont Andreas Zemann, Leiter des International Offices an der TU. Die größte Gruppe der rund 400 TU-Studierenden, die pro Jahr vom Karlsplatz hinaus in die Welt gehen, sind angehende Architekten und Raumplaner. Mit einigem Abstand folgen Maschinenbauer und Elektrotechniker. Dass auch für Techniker Auslandserfahrung sinnvoll ist, betont Zemann: „Mittlerweile haben auch viele kleine und mittlere Unternehmen Produktionsstätten im Ausland. Daher ist es von Vorteil, wenn nicht nur die Manager, sondern auch die Techniker internationaler aufgestellt sind.“

Denn interkulturelle Erfahrung ist etwas, das eine Lehrveranstaltung zu Hause nicht halb so gut vermitteln kann wie ein Aufenthalt vor Ort. „Ein Auslandssemester ist prinzipiell immer sinnvoll“, betont auch Petra Rabitsch vom Büro für Internationale Beziehungen der Uni Graz. „Besonders hervorzuheben sind interkulturelle Erfahrungen, das Kennenlernen anderer Strukturen und Universitätssysteme und das Erlernen und Festigen von Sprachkenntnissen.“

TU-Student Harrer musste sich an das afrikanische Englisch, das in Tansania zweite Amtssprache ist, erst gewöhnen. Beeindruckt war er von „der Freundlichkeit der Menschen.“ Auch dass „nicht alle ständig auf ihr Smartphone starren“ ist ihm aufgefallen. Aber es muss nicht gleich Afrika sein. Ein Studienkollege von Harrer ist Austauschstudent in Berlin, und auch wenn die Kultur dort fast wie daheim sei, habe der Freund schon Unterschiede festgestellt. Nach einer Lehrveranstaltung gemeinsam mit Kommilitonen Übungen zu machen, sei in Berlin nicht Usus, dort rechne jeder allein – im Gegensatz zur Teamarbeit an der Technischen Universität.

Um die Sprache zu verinnerlichen, sind Sprachstudenten im Ausland unterwegs. So sind an der Uni Graz die meisten der rund 1100 ins Ausland gehenden Studierenden „aus den unterschiedlichen Sprachstudien, gefolgt von Juristen und BWL-Studierenden“, erzählt Rabitsch. Die meisten Grazer Studierenden gehen in die USA, nach Spanien, Frankreich, Deutschland und Italien. Bei den rund 350 Studierenden der Boku, die Auslandserfahrungen machen, stehen die skandinavischen Länder, Deutschland und Spanien an der Spitze. Hier sind Studierende des Umwelt- und Bioressourcenmanagements am reisefreudigsten. Rund 25 Prozent der Graduierten an TU Wien und Boku haben Auslandserfahrung, an der Uni Graz sind es 30, an der WU Wien etwa 45 Prozent. „Als wertvollste Erfahrung betrachten die Studierenden den Aspekt der Persönlichkeitsbildung, die Erweiterung des eigenen Blickwinkels und den Aufbau von interkultureller Sensibilität und Kompetenz“, betont Lukas Hefner, Leiter des Zentrums für Auslandsstudien an der WU. Die Chancen für einen Studienplatz im Ausland seien intakt, wenn man etwas Flexibilität bei der Wahl der Partneruni an den Tag lege.

Anrechnung vorab klären

Viele Studierende zögern beim Schritt ins Ausland, weil sie Angst haben, Zeit im regulären Studium zu verlieren. Wer aber vorab das Lehrangebot an der Gastuniversität studiert und die Anrechenbarkeit einzelner Kurse bereits vor der Abreise mit den Professoren an der eigenen Alma Mater klärt, der kann manchmal sogar schon Lehrveranstaltungen im Ausland absolvieren, auf die er zu Hause womöglich ein Semester warten müsste. Damit im Winter nach dem Auslandsaufenthalt dann mehr Zeit für das Skifahren bleibt.

INFORMATIONEN

Sprachvertiefung, das Angebot der Partneruni, Persönlichkeitsentwicklung, interkulturelle und internationale Kompetenz und neue Freunde kennen lernen: Das sind die Hauptgründe, die Studierende ins Ausland ziehen. Wer vom Studium her nicht unbedingt ins Ausland muss oder kann, dem helfen auch Vermittlungsorganisationen bei der Suche nach einem Praktikumsplatz.

Informationen

Sprachvertiefung, das Angebot der Partneruni, Persönlichkeitsentwicklung, interkulturelle und internationale Kompetenz und neue Freunde kennen lernen: Das sind die Hauptgründe, die Studierende ins Ausland ziehen. Wer vom Studium her nicht unbedingt ins Ausland muss oder kann, dem helfen auch Vermittlungsorganisationen bei der Suche nach einem Praktikumsplatz.

Web:http://international.uni-graz.at, www.iaeste.at,
www.wu.ac.at/io,www.boku.ac.at/international,
www.ai.tuwien.ac.at/international

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2015)

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