Frauenherz und Gender-Knie

Medikamente wirken oft bei Männern und Frauen unterschiedlich – ein Thema der Gendermedizin.
Medikamente wirken oft bei Männern und Frauen unterschiedlich – ein Thema der Gendermedizin.(c) imago/Jochen Tack (imago stock&people)
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Österreich darf sich zu den Vorreiterländern der geschlechtsspezifischen Medizin zählen, auch, was das Ausbildungsangebot betrifft.

Geschlechtsspezifische Medizin, zu Neudeutsch Gendermedizin, widmet sich den Unterschieden in der Erforschung und Behandlung von Krankheiten, die sich aus genetischen und biologischen Voraussetzungen von Frauen und Männern ergeben und von sozialen und gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst werden. Die Ergebnisse des jungen Fachs kommen daher beiden Geschlechtern zugute. Allerdings wird aufgrund der bisherigen hauptsächlichen Orientierung der Medizin an der männlichen Physis das Thema Gendermedizin tendenziell mehr mit Frauengesundheit in Verbindung gebracht, die der 28. Mai als Tag der Frauengesundheit in das öffentliche Bewusstsein rücken will.

Zwei eigene Professuren in Österreich

Österreich hat sich in diesem Bereich der Medizin durchaus profiliert. Es zählt nicht nur zu den weltweit ersten Ländern, die dafür – genau vor zehn Jahren – eine ärztliche Fachgesellschaft gründeten (zuvor geschah dies ab 2001 nur in Schweden, Japan und den USA, zeitgleich in Deutschland). Es liegt auch mit zwei Professuren für Gender Medicine in Wien und Innsbruck im europäischen Spitzenfeld und ist das einzige europäische Land, das dafür einen eigenen postgraduellen Lehrgang mit Masterabschluss anbietet.

Der Universitätslehrgang Gender Medicine an der Medizinischen Universität Wien (MUW) wird von Österreichs erster Universitätsprofessorin für dieses Fach, Alexandra Kautzky-Willer, geleitet. Aus Sicht der Internistin, die auch der Gender Medicine Unit der MUW vorsteht und 2016 zu Österreichs Wissenschaftlerin des Jahres gekürt wurde, hat Gendermedizin heute bereits in allen medizinischen Fächern innovative Erkenntnisse anzubieten, etwa in der Notfallmedizin zum großen Thema Herzinfarktdiagnostik, in der Chirurgie bei Herztransplantationen, aber auch beispielsweise in der Zahnmedizin (etwa zur Parodontologie und Implantologie), in der Orthopädie bei künstlichen Gelenken (Stichwort „Gender-Knie“), ganz abgesehen von der Inneren Medizin und der Onkologie.

Großer Bedarf und großer Nutzen

Der Wiener Universitätslehrgang steht daher nicht nur Humanmedizinerinnen und -medizinern offen, sondern auch den Berufsgruppen der Zahnmedizin, Pharmazie, Biologie, Ernährungswissenschaft, Pflegewissenschaft und Soziologie. „Es besteht ein großer Bedarf und Nutzen“, sagt Kautzky-Willer. „Immer wieder qualifizieren sich Absolventen durch die gendermedizinische Spezialisierung für bestimmte Jobs, so etwa kürzlich an einem Fachhochschulstudiengang für Pflegewissenschaften.“

Steigenden Bedarf sieht auch Österreichs (chronologisch gesehen) zweite Professorin für Gendermedizin, Margarethe Hochleitner, die als Direktorin des Frauengesundheitszentrums an den Universitätskliniken Innsbruck tätig ist. Dort wird – wie auch in Wien – regelmäßig eine Ringvorlesung für Gendermedizin angeboten, die Studierenden der Medizin und anderer Fachrichtungen offensteht, ebenso im Beruf stehenden Ärzten (die Ringvorlesung wird von der Ärztekammer als Fortbildung anerkannt) sowie der breiten Öffentlichkeit. „Die Themen werden auf wissenschaftlicher Basis vorgetragen, aber so dargestellt, dass sie zumindest für Interessierte, die bereit sind, sich mit Gendermedizin zu beschäftigen, verständlich sind“, sagt Hochleitner.

Die Internistin ist Beauftragte für das Gendermedizin-Diplom der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK). Auch Ärzte in Ausbildung dürfen diesen Lehrgang besuchen. Für die junge Generation gehöre Gendermedizin, die in Innsbruck schon vor zehn Jahren in das medizinische Pflichtcurriculum aufgenommen worden sei, bereits zur Normalität, sagt Hochleitner. Auf die ältere Generation treffe dies zwar nicht zu. Da aber von Patientenseite zunehmend Interesse an geschlechterspezifischer Medizin geäußert werde, bemerke sie jedoch einen höheren Bedarf an einschlägiger Fortbildung in allen Generationen. Die meisten fortbildungsinteressierten Kollegen kämen aus der Allgemeinmedizin, was auch dem Primärbedürfnis der Patienten entspreche. „Viele Frauen wollen mit ihren Hausärztinnen und -ärzten über frauenspezifische Angebote sprechen, besonders bezüglich Medikamente.“

In Deutschland gilt Vera Regitz-Zagrosek, Direktorin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin (GIM) an der Berliner Charité, als Mitbegründerin des Faches Gendermedizin. Die Internistin, die den europaweit einzigen Lehrstuhl für Frauenspezifische Gesundheitsforschung mit Schwerpunkt Herzkreislauf-Erkrankungen innehat, ist froh, dass es gelungen ist, die Genderthematik im regulären Medizinstudium als Pflichtfach zu verankern. „Früher hatten wir ein Wahlfach. Jetzt gibt es in unserem modular aufgebauten Studium in allen 40 Modulen geschlechtsspezifische Inhalte“, sagt Regitz-Zagrosek. Das Institut müsse sich aus Gründen der Personalkapazität auf das reguläre Studium der Humanmedizin konzentrieren, auch wenn man zusätzlich Fortbildungen und Kurse, etwa für niedergelassene Ärzte, abhalte. Für alle ärztlichen Fachrichtungen besteht in Deutschland überdies die Möglichkeit, durch Weiterbildung nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin die Zusatzbezeichnung Gendermediziner/-in zu erlangen.

Weiterbildung auch via E-Learning

Ein besonderes Lernangebot, das vom GIM-Institut der Charité-Universitätsmedizin Berlin zur persönlichen Weiterbildung entwickelt wurde, ist der E-Learning-Kurs eGendermedizin. Dafür wurden Inhalte aus den großen Fachdisziplinen der Inneren Medizin didaktisch aufgearbeitet. Durch verschiedene Kommunikationstools besteht die Möglichkeit zur Diskussion und Onlinezusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen.

INFORMATION

Gendermedizin in Österreich

2007 Gründung der Österreichischen Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin

2010 Erste Professur für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien (Alexandra Kautzky-Willer)

2014 Zweite Professur für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Innsbruck (Margarethe Hochleitner)

Aus- und Weiterbildung:

• Fortbildungsdiplom Gender Medicine der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK)

• Universitätslehrgang Gender Medicine der MedUni Wien: ww.meduniwien.ac.at/hp/ulg-gendermedicine/

• ÖÄK-Diplom Gender Medicine der Akademie der Ärzte: http://fgz.i-med.ac.at/diplom?gml

• E-Learning-Kurs eGendermedizin der Charité Berlin: http://egender.charite.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2017)

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