Die WikiLeaks-Debatte entwickelt sich prächtig.
Die WikiLeaks-Debatte entwickelt sich prächtig. Jede Skepsis an der anonymen Bürgerkultur, die sich im Windschatten des WikiLeaks-gestützten Aufdeckungsjournalismus mit revolutionärem Sendungsbewusstsein ausbreitet, wird mit einem verdammt guten Argument gekontert: Ihr alten Medien-Scheißer fühlt euch ja nur dabei ertappt, dass andere, nämlich die WikiLeaks-Leute und ihre Datenlieferanten, den Job machen, den eigentlich Ihr machen sollt.
Richtig ist: Was "New York Times", "Spiegel" und "Le Monde" auf der Grundlage der bei WikiLeaks gesammelten Materialien berichtet haben, ist genau das, was guter Journalismus immer getan hat und immer tun muss. "News is, what somebody wants to keep secret. Everything else is advertising", heißt ein alter, ewig gültiger, von uns allen zu wenig beherzigter Grundsatz. Es kann gegen diese Veröffentlichungen keinen grundsätzlichen Einwand geben, die Medien und WikiLeaks haben Anspruch auf Unterstützung gegen jeden Versuch von Regierungen, die Pressefreiheit einzuschränken.
Wir alten Medien-Scheißer werden die Angriffe der zornigen jungen Cyber-Revolutionäre, die uns für einen Teil des unerträglichen Establishments halten, einfach ertragen müssen. Und die zornigen jungen Cyber-Revolutionäre werden irgendwann verstehen müssen, dass der Zweck nicht alle Mittel heiligt. Und sie sollten verstehen, dass ihre große, heroische revolutionäre Geste sich nicht wirklich mit dem Prinzip der Anonymität verträgt.
Aus gutem Grund erwecken die "schwarzen Blöcke" der Vermummten bei Demonstrationen allgemeines Unbehagen. Man kann solche Anonymisierungen nur dort rechtfertigen, wo die Menschen, die Widerstand bekunden, sich selbst und ihre Angehörigen in Gefahr brächten, also in diktatorischen Regimen. Überall sonst sind sie nur Maskerade für die blanke Lust an der Gewalt.
Und genau das ist das Problem, das ich mit den Cyber-Revolutionären im Windschatten von WikiLeaks habe: Sie behaupten, dass die Vereinigten Staaten von Amerika und die Anhänger einer marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung das eigentliche diktatorische Regime der Welt wären, gegen das man sich nur mit anonymen Attacken zur Wehr setzen kann.
Gegen dieses bewusste, verbrecherisch dumme ideologische Vorurteil sollten sich ernsthafte Menschen zur Wehr setzen.