Flucht nach vorne - Wenn der Neuanfang „Straßenarbeit“ heißt

Sie leben am Rande der Gesellschaft, oft in prekären Situationen und gehören doch zum Stadtbild, wie der Prater und der Stephansplatz. Gemeint sind Bettlerinnen und Bettler sowie Verkäuferinnen und Verkäufer der Wiener Straßenzeitungen Global Player & Co, die aus ihren Heimatländern einen ganzen Pack Träume und Erwartungen mitgebracht haben.

Sie leben am Rande der Gesellschaft, oft in prekären Situationen und gehören doch zum Stadtbild, wie der Prater und der Stephansplatz. Gemeint sind Bettlerinnen und Bettler sowie Verkäuferinnen und Verkäufer der Wiener Straßenzeitungen Global Player & Co, die aus ihren Heimatländern einen ganzen Pack Träume und Erwartungen mitgebracht haben.

Wie viele andere versucht auch Valentina ihr Glück auf den Straßen Wiens. Tagtäglich verbringt die rüstige 50-Jährige mehrere Stunden auf ihrem Stammplatz, einer vielfrequentierten Nebenstraße im 6. Bezirk. Eingebettet in Kopftuch, Schals und dicke Wollwesten zum Schutz vor Kälte und Wind lächelt ein freundliches Gesicht den Passanten entgegen. „Bitte, Zeitung kaufen", ist einer der wenigen Sätze, die sie auf Deutsch beherrscht. Auf ihrem Schoß liegen aktuelle Ausgaben der Straßenzeitungen Global Player und Co, ihr Ausweis, der sie zum Verkauf berechtigt und einige Münzen. Zwei unterschiedliche Handschuhe schmücken ihre Hände.

Den Stammplatz „teilt" sich Valentina mit Ionuti, einem 56-Jährigen Ex-Polizisten aus Petrosani, einer Gebirgsstadt Transsilvaniens. „Ich liebe Wien so sehr wie ich Rumänien liebe, es ist für mich eine zweite Heimat geworden," strahlt der immerzu optimistische Familienvater von vier erwachsenen Kindern und mehrfache Großvater. Ein herzhaftes Lächeln ziert dabei sein in Falten gehülltes Gesicht. Seine Finger sind leicht angeschwollen von der Kälte und die graue leicht durchlöcherte Strickjacke hängt lose herab.

Auf der Suche nach Arbeit und Selbstbestimmung

„Viel bringt das nicht ein. Lieber würde ich auf der Baustelle arbeiten, aber das geht zurzeit nicht", meint Ionuti und verweist auf seinen bandagierten Fuß, den er sich bei Gelegenheitsarbeit gebrochen hat - Schwarzarbeit, versteht sich. Denn ohne Arbeitserlaubnis, keine Anstellung und ohne Anstellung bleibt bloß das Vertrauen auf die eigene Gesundheit. Durch seinen Unfall ist Ionuti umso mehr auf die Einnahmen durch Betteln und Zeitungen angewiesen.

Seit 3 Jahren kommt Ionuti regelmäßig für ein paar Wochen bis Monate nach Wien um Geld zu verdienen. In seinem Heimatort Petrosani, einer ehemals florierenden Minenstadt, in der Arbeitslosigkeit für viele zum Normalzustand geworden ist, ist es für ihn so gut wie unmöglich einen Job zu finden. Doch auch Betteln ist harte Arbeit. Von früh morgens bis spät abends ist er ständig unterwegs, sieben Tage die Woche. Davon kann ihn auch ein gebrochener Fuß nicht abhalten.

Same, same, but different

Valentina und Ionuti gehen zwar den gleichen Weg, doch ihre Motive sind grundverschieden. Valentina hat sich von ihrem Mann getrennt und muss nun zusehen, wie sie alleine über die Runden kommt. In ihrer Heimat, Mihaesti konnte sie nicht bleiben und so entschloss sie in Wien einen Neuanfang zu wagen. Ionuti kehrt regelmäßig in seinen Ursprungsort zurück, um Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Länger als drei Monate bleibt er nie. „Was soll ich dort machen? Ohne Arbeit falle ich bloß allen zur Last." Durch das Betteln und den Zeitungsverkauf kann er zumindest ein wenig zum gemeinsamen Haushalt beitragen und gewinnt ein Stück Selbstachtung zurück. Selbstachtung, die ihm zusammen mit seinem Arbeitsplatz vor Jahren abhandengekommen ist.

1 Bett - EUR 1,--

Um 18:00 beginnt der Einlass in der Notschlafstelle VinziPort in der Linzer Straße - das Ende eines langen Arbeitstages für Valentina und Ionuti. Für einen Euro täglich ist den beiden mittlerweile ein Schlafplatz sicher. Das ist viel wert in einer Stadt, in der jeden Abend Menschen aus Platzgründen abgewiesen werden. Auch Valentinas Nichte hat vor kurzem ein Bett in der „ausgebuchten" Schlafstelle ergattert.

„Niemand weiß genau, wie viele Menschen speziell aus den neuen EU-Ländern in Wien auf der Straße leben oder auf Hilfe angewiesen sind. Von Seiten der Stadt fühlt man sich nur bedingt zuständig, auch deshalb sind Angebote rar", so ein Pressesprecher der Caritas Wien.

Das VinziPort ist eine private Einrichtung, die als Teil der Vinzenzgemeinschaft Pfarrer Puchers aus Graz ausschließlich über Spenden finanziert wird. Neben der Notschlafstelle VinziRast-CortiHaus und der zur Caritas gehörigen zweiten Gruft gibt es für Menschen wie Valentina und Ionuti nur wenige derartige Schlafmöglichkeiten.

Über achtzig EU-Bürgerinnen und Bürger aus der Slowakei, Polen oder Ungarn erhalten in der Einrichtung VinziPort eine warme Mahlzeit, Duschmöglichkeiten und einen geschützten Schlafplatz. In Gemeinschaftsräumen tauschen sich die Gäste aus, trinken Kaffee oder sehen fern. Am nächsten Morgen endet das Angebot. Bis spätestens 07:00 früh müssen Valentina und die anderen Gäste die Einrichtung verlassen. Der Beginn eines neuen Arbeitstages auf der langen Straße Richtung Zukunftsträume.

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