„Es geht den Separatisten darum, den Konflikt am Leben zu halten"

Der Thailänder Don Pathan ist Journalist und Experte im Südkonflikt. Seit den 90er Jahren arbeitet er für die englischsprachige Zeitung „The Nation" und ist dort für die Berichterstattung über den Konflikt im Süden verantwortlich. Er hat in Texas studiert, lebte zuletzt in Bangkok und ist vor kurzem in die südliche Provinz Yala gezogen.

Ende März gingen in den Städten Hat Yai und Yala im Süden des Landes gleichzeitig Autobomben in die Luft. 14 Menschen kamen bei den Anschlägen ums Leben, 340 wurden verletzt. Auch internationale Medien erinnerten sich plötzlich wieder an den seit Jahrzehnten im Süden des Landes wütenden Konflikt zwischen der thailändischen Regierung und den Aufständischen, die für die drei südlichsten Provinzen Patani, Yala und Narathivat die Unabhängigkeit fordern.

Ausländische Beobachter sind sich oft nicht sicher, um was für einen Konflikt es sich in Südthailand überhaupt handelt. Ist es vordergründig ein religiöser, ein kultureller oder ein ethnischer?

Hannah Stadlober

Don Pathan: Der Kern des Konflikts liegt im thailändischen Nationalstaatskonstrukt. Thailand ist ja in Wirklichkeit ein Schmelztiegel verschiedener Ethnien und Kulturen. Als der thailändische Staat nach der Jahrhundertwende aus dem Königreich Siam hervorging, schafften es alle Regionen, sich mit dem neugeschaffenen Nationalstaat zu arrangieren - nur die Patani-Malaien in den drei südlichsten Provinzen nicht.

Wieso ist das so?

Die Bewohner der Südprovinzen unterscheiden sich ethnisch und religiös von der übrigen Bevölkerung des Landes. Sie haben malaiische Wurzeln, sprechen einen malaiischen Dialekt und sind fast ausschließlich Muslime. Thailand selbst ist aber fest in buddhistischer Hand. In den Südprovinzen machen die Patani-Malaien 80 Prozent der Bevölkerung aus, im Rest Thailands sind sie eine Minderheit.

Und aufgrund dieser ethnischen und religiösen Unterschiede fühlen sich die Patani-Malaien dem thailändischen Staat nicht zugehörig?
Die Leute haben ja nichts dagegen, Teil von Thailand zu sein. Eine solche Einbeziehung muss aber unter ihren Bedingungen passieren. Die malaiische Minderheit in Südthailand kann sich mit den Werten des thailändischen Nationalstaats - Nation, Religion und Monarchie - aber nicht identifizieren, sie hat ein anderes historisches Bewusstsein, ein anderes Narrativ. Und in einem Staat mit so vielen Tabus wie Thailand lassen sich diese nicht kombinieren

Es geht also mehr um Geschichte als um Religion?
Genau. Die Aufstandsbewegung ist keine islamische, sondern eine ethno-nationalistische. Das historische Patani hat seine eigene, sehr fesselnde Geschichte: Yala, Patani und Narathivat sind Teile des historischen Patani, einem Sultanat, das zwar Tribute an den König von Siam leistete, abgesehen davon jedoch autonom war. Die glorreiche Vergangenheit des Königreichs wird immer wieder von den Aufständischen heraufbeschworen - und das sehr erfolgreich.

Und was ist mit all jenen, die hinter dem Konflikt in Südthailand eine globale Jihad -Bewegung vermuten?
Es handelt sich um einen nationalen Konflikt - und das dürfte auch in Zukunft so bleiben. Die Aufständischen fahren gut mit dem Narrativ des historischen Patani. Wenn sie den Konflikt in einen islamischen ausweiten wollen würden, müssten sie dieses Narrativ aufgeben. Außerdem würde das auch bedeuten, dass sie ihre Religion und somit einen Teil ihrer Identität an die Anforderungen des globalen Jihad anpassen müssten. Dieser orthodoxere Zugang zum Islam kommt aus den Golfstaaten, im Süden Thailands gibt es keine solche Tradition.

Hätte nicht das thailändische Heer ein Interesse daran, den Konflikt zu einer globalen Jihad-Bewegung hoch zu stilisieren?
Nein. Auch das Militär will, dass der Konflikt ein nationaler bleibt. Sie wollen jede Einmischung von außen und somit eine mögliche Infragestellung der Legitimität des thailändischen Nationalstaats verhindern.

Welche Bedeutung haben die Anschläge in Hat Ya und Yala? Wird der Konflikt wieder blutiger?
Die Anschläge werden nicht häufiger, dafür aber extremer. Beim Konflikt im Süden des Landes handelt es sich keinesfalls um einen konventionellen Krieg, es geht nicht um Territorialansprüche, sondern darum, den Konflikt am Leben zu erhalten. Dafür reichen ein bis zwei Anschläge im Monat. Die Attentate in Hat Yai und Yala sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Solange die Bevölkerung - und vor allem die Regierung und das Militär - wissen, dass die Aufständischen noch präsent sind, ist ihre Mission erfolgreich.

Heißt das, dass sich der Konflikt in den letzten Jahren gar nicht verändert hat?
Nein, es ist zu einer Kriminalisierung der Bewegung gekommen. Andere kriminelle Elemente innerhalb des Aufstands wurden gestärkt: Drogenhandel, illegale Geschäfte, Prostitution, Glücksspiel - die Liste ist lang. Unter dem Motto „sprengen wir etwas in die Luft und verdienen Geld dabei" verkauft sich heutzutage manch junger Kämpfer selbst. Das wiederum frustriert die alte Garde.

Warum versucht die thailändische Regierung nicht, mit dieser alten Garde zu verhandeln?
Wenn das so einfach wäre. Die Barisan Revolusi Nasional - Coordinate (BRNC) ist am ehesten so etwas wie der „politische Flügel" der Bewegung. Das Problem ist aber, dass sie weder ein politisches Manifest noch eine klare Position hat. Außerdem ist sie noch nie an die Öffentlichkeit getreten. Wenn sie das tatsächlich einmal täte, wären die Erwartungen extrem hoch. Die BRNC hat aber nur wenig Kontrolle darüber, was dann tatsächlich vor Ort passiert.

Was für eine Rolle spielt das Nachbarland Malaysia? Könnte es nicht als Vermittler zwischen der Regierung in Bangkok und den Aufständischen im Süden fungieren?
Malaysia wäre kein ehrlicher Mediator, denn es hat seine eigenen Interessen, die es im Konflikt vertreten will. Malaysia könnte daher höchstens als Anlaufstelle agieren.

Die neue Regierung unter Yingluck Shinawatra ist seit Juli 2011 im Amt. Wie stehen die Chancen, dass der Konflikt in ihrer Amtszeit beendet wird?
Die Premierministerin hat ihren Lieblingsbürokraten Tawee Sodsong zum Chef der wichtigsten zivilen Behörde im Süden, der SBPAC (Southern Border Provinces Administration Centre) ernannt. Er scheint erkannt zu haben, worum es in der Region geht. Er sagt die richtigen Dinge, wir werden aber noch sehen, ob er auch Taten folgen lässt.

Im Jahr 2015 wird der gemeinsame Markt der ASEAN-Staaten Realität. Was könnte diese Öffnung für die malaiisprachigen Einwohner der Südprovinzen
bedeuten?
Der malaiische Dialekt, der in den Südprovinzen gesprochen wird, unterscheidet sich nur gering von den in Malaysia und Indonesien gängigen Dialekten. Wenn die Regierung schlau wäre, würde sie die Südprovinzen als Tor nach Malaysia und Indonesien sehen. Viel zu lange hat Thailand in der Vergangenheit die Vorteile der Sprachkenntnisse der Patani-Malaien komplett ignoriert. Nur sehr langsam erkennt man nun auch in Bangkok, dass die malaiische Sprache riesiges Kapital für ganz Thailand birgt.

Wird je Frieden in Südthailand einkehren?
Man muss das Rad ja nicht neu erfinden. Im Bericht der Nationalen Versöhnungskommission (NRC) finden sich einige gute Ideen. Das Problem besteht jedoch darin, dass die Aufständischen in den Berichten mit keinem Wort erwähnt werden. Die thailändische Regierung muss sie endlich ernst nehmen und auch die gesamte Einstellung den Patani-Malaien gegenüber muss sich ändern. Ihr Narrativ muss respektiert werden - nur so kann die Geschichte der Südprovinzen Teil der thailändischen Geschichte werden.

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