Warum wir die Goldreserven noch immer nicht im Meer versenkt haben

Niemand ist eine Insel. Aber wenn ich Zypern wäre, ich würde mir einen höheren Goldpreis wünschen. Gedanken zur Rolle von Goldreserven in einer "modernen Welt".

Die Goldbestände der Zentralbanken sorgen immer wieder für Aufmerksamkeit. Zuletzt vergangenes Jahr, als Deutschland zuerst darüber debattierte und die Bundesbank dann wirklich mit der Rückholung ihres Goldes aus New York begann. (Ja, die Goldbestände lagern oft im Ausland - in New York, London oder Basel meistens.)

In solchen "Goldfenster-Momenten" tauchen auch immer allerlei "Experten" auf - und lassen ihren Emotionen freien Lauf. Dabei steht meist die "Das-Gold-ist-doch-längst-weg"-Fraktion in der einen - und die "Werft-es-doch-ins-Meer"-Fraktion in der anderen Ecke.

Kein Scherz. Im Zuge der letzten Debatte ließ sich die "Zeit" dazu hinreißen, diesen Text auf Seite Eins (!) der Printausgabe zu publizieren. "Die 1.546 Tonnen aus New York sollte man im Atlantik versenken", steht da am Schluss. Begründung: Keynes hatte gesagt, der Goldstandard sei ein "barbarisches Relikt".

Also weg mit dem Zeug! Ist ja nicht so, als ob die Bundesrepublik dieses Volksvermögen im aktuellen Gegenwert von rund 53 Milliarden Euro für irgendwas brauchen könnte. ;)

Die hier in der "Zeit" zur Schau gestellte Denke entstammt freilich einer relativ banalen und binären Perspektive aufs Geldsystem. "Wenn Goldstandard schlecht, dann Gold schlecht", lautet die Logik hinter derlei Argumentationen.

Dem gegenüber stehen die "Goldstandard gut, deswegen Gold gut"-Typen, die oft der Meinung sind, dass die Notenbanken das ganze staatliche Gold längst am Markt verbraten haben, um den Preis zu drücken und ihre Papierwährungen zu retten. Das wäre zwar möglich, ist aber höchst unwahrscheinlich - denn die Notenbanken verstehen die Bedeutung von Gold besser als gemeinhin angenommen wird. Und die Realität liegt wie so oft im Graubereich zwischen den extremen Meinungen.

Kleine Geschichte des Goldstandards

Tatsächlich gab es nie einen definitiven Goldstandard - sondern verschiedene Systeme, die mit Gold zu tun hatten und deswegen (nachträglich) unter "Goldstandard" subsummiert wurden. In der Regel versteht man unter "Goldstandard" heute die direkte Bindung einer Währung an Gold - die solange aufrecht erhalten wird wie eben möglich. Bis das auf Goldbasis entstandene Papiergeld so stark inflationiert wurde, dass eine "Neubewertung" des Goldes bzw. eine Abwertung des Papiergeldes unvermeidbar ist.

Seit 1971 gibt keine Form des "Goldstandards" mehr, weil keine Währung der Welt direkt an Gold gebunden ist. Die Zentralbanken haben das Zeug aber immer noch lagernd! Und entgegen der Beteuerungen der "Experten", wie unwichtig Gold in unserer ach so modernen Welt doch sei, hat die gute alte Deutsche Bundesbank tatsächlich mit der "Rückholung" dieser Reserven begonnen. Auch die Schweizer und die Oesterreichische Nationalbank fallen plötzlich durch erhöhte Transparenz im Goldbereich auf. Zweifellos auch eine Antwort auf die immer wiederkehrenden Gerüchte über angeblich längst geleerte Goldtresore.

Rund 17 Prozent allen Goldes (oder knapp mehr als 30.000 Tonnen) sind im Besitz von Staaten/Zentralbanken. Seit 2010 kaufen die Zentralbanken insgesamt wieder Gold zu - was langfristig betrachtet der "Normalzustand" ist. Im Jahr 1845 hielten gerade mal zwei Notenbanken (England und Frankreich) gemeinsam 85 Tonnen Gold. Mehr als hundert Jahre lang waren diese Institutionen auf der Nettokäufer-Seite zu finden, bis 1968 das Währungssystem von Bretton Woods zusammenbrach und 1971 die Eintauschbarkeit des Dollars aufgehoben wurde.

Diese Entwicklung haben wir immer wieder beobachten müssen, wenn wir Gold zu Geld gemacht haben. FOA beschreibt dies wunderbar:

Over time and life spans gold has been brought into official use countless times. Only to be bastardized by forces, we as peoples can never control. After every failure and ruination of much wealth, the cries always return to bring gold back as money. Once again to begin the long hard road that leads to the same conclusion. Gold coins, then bank storage, then gold lending, then gold certificate use, then lending of certificates, then certificates are declared paper money, then overprinted, then gold backing removed, then price inflation, then,,,,,, we begin again. But this time it's different the hard money crowd say. Yes, it is. Only the time has changed.

For the better part of human existence, gold alone has served all of the best functions of tradable wealth. But as soon as we call it our money, human nature takes over. Yes, we can call it a stock or a bond, a piece of land or a painting, a car, boat or antique, but just don't label it as money.

Das ist der springende Punkt: Gold war (als "tradable wealth") schon lange vor den Zentralbanken da! Mag schon sein, dass manche (fraglos hochqualifizierte) Notenbanker und Ökonomen heute ein philosophisches Problem mit der Rolle von Gold haben. Das ist verständlich, denn der "klassische Goldstandard" ist tatsächlich ein "barbarisches Relikt". Aber wer A sagt, muss schon auch B sagen: Wenn Gold ein philosophisches Problem darstellt, dann tut es die schiere Existenz von Notenbanken genauso. Aber das ist ein anderes Thema.

Es ist meine Meinung, dass Gold auch in Zukunft eine entscheidende Rolle im Geldsystem spielen wird. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die Notenbanken dieser Welt das anders sehen (und dass sie existieren und mit äußerster Macht ausgestattet sind, ist ja unumstritten).

Im Gegenteil: die Zeiten der "Goldverkäufe" sind vorbei, die Notenbanken sind seit 2010 wieder "Nettokäufer".

Notenbankgold
Notenbankgold

(Quelle: Thompson Reuters GFMS)

Zurück zum "Goldstandard"? Nein.

Also rein in die "reine Papierwelt"? Auch nein.

Es sieht eher so aus, als würden wir viel weiter in der Geschichte zurückgehen als zum schnöden Goldstandard. Als hätten wir (als Menschen) inzwischen endlich aus den (Geld)Fehlern der Vergangenheit gelernt.

Es ist freilich nicht einfach, aktuelle Ereignisse direkt in dieses langfristige Bild zu integrieren - viel zu sehr bestehen unsere Nachrichten heute aus Spekulation und Gerüchten. Aber wir wollen es versuchen - am Beispiel einer kleinen Insel...

Auftritt der pawlowschen Hunde

Wer erinnert sich noch an Zypern? Es scheint weiterhin der Plan, dass diese kleine Insel einen Teil ihrer Goldbestände zur Rettung der Staatsfinanzen einsetzen soll. Rund 400 Mio. Euro soll ein Goldverkauf bringen. Das wären bei aktuellen Preisen rund 10 Tonnen Gold (Zypern besitzt knapp 14). Viele "Experten" haben diesen angedachten Goldverkauf einer Zentralbank als "Preis-negativ" oder "Gold-negativ" eingestuft. Wie pawlowsche Hunde.

Diese Reaktion hat auch handfeste Gründe, war Gold doch während der zwanzig Jahre, in denen die Notenbanken ihre Bestände reduziert haben, kein sonderlich prickeldes Asset - zumindest wenn man den Preis betrachtet. Aber der "Zypernplan" findet nicht während dieser 20 Jahre statt. Der ist - wenn er überhaupt stattfindet - ein Anzeichen für einen "neuen Goldmarkt".

"World class asset" statt "barbarisches Relikt"

Erstens würden 10 Tonnen am Markt verdampfen wie der sprichwörtliche "Tropfen auf dem heißen Stein" - ohne den Preis zu bewegen. Zweitens wären selbst 100 verkaufte Tonnen völlig egal, solange eine andere Zentralbank 101 Tonnen kauft - solange die Notenbanken also zu den Nettokäufern von Gold gehören. Und drittens hat Zypern ja gar kein Interesse an einem niedrigen Goldpreis!

Das ist sehr wichtig. Die früheren Goldverkäufe der Europäer waren breit angelegt und ausgedehnt um einen maximalen (negativen) Effekt auf den Preis zu erzielen. In den so genannten "Central Bank Gold Agreements" war (und ist) das bis ins Detail geregelt. Aber Zypern (oder ein anderer Staat, der sein Gold antastet) hat eine ganz andere Motivation: man braucht das Geld!

Hier würde kein "barbarisches Relikt" auf den Markt fliegen, sondern das letzte "world class asset", das Zypern noch hat. "Tradeable wealth", die eiserne Reserve! Wäre Gold so unbedeutend wie manche es gerne hätten, Zypern hätte es doch längst verkauft - oder? Oder wenigstens ins Meer gekippt, man hat es ja nicht weit. :) Und was ist mit Griechenland? Und Portugal? Diese Länder haben mehr Gold-pro-Kopf gelagert als die meisten anderen auf der Welt. Und ebenfalls Meerzugang. Worauf warten sie also?

Mein Gold ist so viel wert wie du mir gibst

In jedem Fall wären direkte Verkäufe eher ungewöhnlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Krisenstaaten ihr Gold als Sicherheit für etwaige neue Kredite einsetzen. Eine derartige Idee wurde vor etwa zwei Jahren in der EU und zuletzt vom World Gold Council aufgebracht. Gold als Sicherheit für die Liquiditätsversorgung zu nutzen ist nichts ungewöhnliches und geschieht (vor allem in Krisenzeiten) sowohl zwischen Zentralbanken als auch zwischen Zentralbanken und Geschäftsbanken "in Not".

Mir ist schon klar, dass sich der "Wert" von Gold für die Menschen nicht leicht fassen lässt - zumindest nicht, wenn man die Bedeutung der "Subjektiven Werttheorie" noch immer nicht ganz akzeptieren will. Jene Theorie also, die besagt, dass der Wert immer im "Auge des Betrachters" liegt. Anders gesagt: Mein Gold ist nur so viel Wert, wie ein anderer mir dafür zahlen will - egal wie wertvoll es mir ist und egal wie mühsam die Herstellung war. Ob ich zum "Preis des anderen" verkaufen will, ist wieder eine andere Frage.

Aber die Notenbanken spielen in diesem Spiel eine Sonderrolle. Sie können theoretisch den Wert dieses einen Assets ganz oben in ihrer Bilanz selbst bestimmen. Dass der Goldpreis von den Zentralbanken "mitgemanaged" wird, ist weder ein Geheimnis noch eine niederträchtige Manipulation - sondern Teil der "Geldpolitik". Und wenn sie ihn hinunter "managen" können, warum dann nicht hinauf?

Wenn ich Zypern wäre, ich würde es mir wünschen. Dann muss ich weniger Gold als Kreditsicherheit einsetzen (oder gar verkaufen) um mein Land zu retten.


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